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9. Juni 2020 / Textil+mode: Re-Start für die deutsche Textilwirtschaft

Interview mit Dr. Uwe Mazura, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie textil + mode.

Dr. Uwe Mazura, Bild: © Marco Jentsch

Die Coronakrise stellt einen Großteil der deutschen Wirtschaft vor unbekannte und extreme Herausforderungen. Die Textil- und Modeindustrie leidet unter den unterbrochenen Lieferketten einerseits und unter geschlossenen Läden und schlechter Konsumstimmung andererseits. Die Cotton Report-Redaktion sprach mit Dr. Uwe Mazura, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie textil + mode, über die aktuelle Lage und mögliche Lösungsansätze.

Herr Dr. Mazura: Wo liegen derzeit die größten Probleme bei den Unternehmen der Textil- und Modebranche?

Es handelt sich ohne Zweifel um die schlimmste Krise unserer Branche in der Nachkriegszeit. Weltweit ist der Markt für Mode und Bekleidung nahezu zusammengebrochen. Wochen-, teilweise monatelang waren die Läden in vielen Ländern rund um den Erdball geschlossen, auch online ist das Geschäft mit Mode eingebrochen. Die Verbraucherstimmung ist im Keller. Jetzt erwartet uns eine Rabattschlacht, was für unsere werthaltigen deutschen Bekleidungsmarken ein Albtraum ist. Aber die Krise trifft nicht nur die Bekleidungsunternehmen. Sie zieht sich quer durch unsere Branche: Autozulieferer, Matratzenhersteller, Hotelwäschehersteller, überall sind die Auftragsbücher leer und viele Unternehmen wissen nicht, wie sie die kommenden Monate überstehen. Über 80 Prozent unserer Unternehmen haben Kurzarbeitergeld angemeldet, viele unserer Mittelständler gehen an die Substanz und befürchten, dass sie den Sommer nicht überleben.

Gibt es auch Lichtblicke, positive Entwicklungen zu verzeichnen?

Ein Lichtblick in der Corona-Krise war und ist, dass wir in Sachen medizinischer Schutzausrüstung und Vliesstoffe immerhin noch eigene Hersteller und Unternehmen für Medizinprodukte in Deutschland haben. So konnte sehr schnell eine Notversorgung organisiert werden, nachdem China als erstes Land von Corona betroffen war und die weltweite Nachfrage nicht mehr bedienen konnte. Inzwischen ist rund die Hälfte unserer Bekleidungsindustrie in die Produktion von Schutzmasken eingestiegen; allerdings darf das nicht darüber hinweg täuschen, dass damit die Umsatzeinbrüche in keiner Weise wett zu machen sind. Im Gegenteil: Die Unternehmen mussten investieren, neue Lieferketten für die Maskenproduktion aufbauen. Das Kerngeschäft unserer mittelständischen Hersteller sind hochqualitative und hochspezialisierte Textilien.

Welche langfristigen Auswirkungen wird Corona Ihrer Meinung nach auf die globalen Lieferketten der Textil- und Bekleidungsindustrie haben und welche Folgen hat das möglichweise für den deutschen Standort?

Das ist noch zu früh, um hier eine verlässliche Prognose abzugeben. Der Wunsch, wieder mehr in Europa zu produzieren, um beispielsweise bei medizinischer Schutzausrüstung unsere Abhängigkeit von China zu verringern, hängt davon ab, ob wir als Hochlohnland mit Rekordenergiepreisen medizinische Einmalprodukte überhaupt wettbewerbsfähig produzieren können. Wer hier lautstark eine Rückverlagerung von Produktion fordert, muss auch sagen, wie sich das für unsere Unternehmen rechnen soll. Aber jetzt geht es erst einmal darum, dass unsere Unternehmen in Deutschland die Krise überhaupt überleben.

Was kann dabei helfen?

ifo Umfrage: Geschäftsklima in der Textil- und Modeindustrie 2019/2020, © ifo

Wir haben der Bundesregierung einen sehr handfesten Restart-Plan vorgeschlagen. Neben verschiedenen Vorschlägen, den Konsum wieder anzukurbeln – beispielsweise durch eine Umsatzsteuerentlastung und Konsumgutscheine, müssen jetzt alle Gesetze auf Eis gelegt werden, die unsere mittelständischen Unternehmen zusätzlich belasten; dazu gehören jede Menge unsinnige Zusatzregulierungen für Spezialtextilien und weitere Belastungen bei den Energiekosten. Auch Bürokratieabbau ist etwas, was den Staat nichts zusätzlich kostet, aber unnötigen Druck von den Unternehmen nimmt.

Die deutsche Mode- und Bekleidungsindustrie war auf einem guten Weg, sich verstärkt zu digitalisieren. Glauben Sie, dass die Pandemie diese Entwicklung eher beschleunigen oder bremsen wird?

Wenn den Unternehmen noch Geld für Investitionen bleibt, werden sich hier viele Entwicklungen beschleunigen. So gesehen lagen wir beim Gesamtverband schon vor Corona richtig, mit Textil vernetzt die Digitalisierung unserer mittelständischen Unternehmen voran zu bringen. Darauf können wir jetzt aufbauen und unsere Angebote intensivieren.

Vor der Krise erhielt das Thema Nachhaltigkeit eine immer größere Aufmerksamkeit. Auch textil+mode ist aktives Mitglied im Bündnis für nachhaltige Textilien. Wie schätzen Sie die bisherige Entwicklung des Themas ein und welchen Stellenwert erhält es nun durch die Krise?

Auf diese Entwicklung bin ich selbst gespannt. Mich treibt nämlich die Sorge um, dass ausgerechnet unsere werthaltigen deutschen Textilunternehmen diese tiefgreifende Wirtschaftskrise nicht überstehen. Es sind aber genau diese Unternehmen, die die Steuern zahlen, mit denen unsere Politik Initiativen wie das Textilbündnis bezahlt. Ich werde es auf alle Fälle nicht mehr hinnehmen, dass die gleichen Politiker, die uns fortgesetzt für unsere Lieferketten angreifen, jetzt anprangern, dass Menschen in Indien und Bangladesch ohne Arbeit sind. Hier verlange ich mehr Sachlichkeit und Ehrlichkeit in der Debatte.

Der deutsche Textilstandort steht für Forschung und Innovation und ist Weltmarktführer in so mancher Nische. Nennen Sie uns ein aktuelles Beispiel.

Davon gibt es jede Menge. Unser Forschungskuratorium hat Mitte März eine beeindruckende Forschungsstudie vorgestellt „Perspektiven 2035“. Ich kann Ihnen nur einen Blick in die Studie empfehlen, die wir auch online gestellt haben. Textil ist in so vielen innovativen Bereichen der Werkstoff der Zukunft. Das fängt bei antibakteriellen Stoffen an, geht über Textilfassaden, die Abgase wieder in saubere Luft verwandeln und reicht bis zu völlig neuartigen Fasern, die den CO2-Fußabdruck eines Textils quasi auf null reduzieren. Unsere Zukunftsstudie ist eine Blaupause für einen Green Deal Textil und zeigt, wie hoch innovativ die mittelständische Industrie in Deutschland ist. Sich auf solche Innovationen zu konzentrieren, ist 100mal effektiver als immer neue CO2-Minderungsziele auszurufen.

Vielen Dank für das Interview!

Interviews entsprechen der Meinung des jeweiligen Interviewpartners und geben nicht die Position der Bremer Baumwollbörse als neutrale, unabhängige Institution wieder.

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