Interview mit Gerd Oliver Seidensticker, geschäftsführender Gesellschafter der Seidensticker Unternehmensgruppe.
Seidensticker ist eine der bekanntesten Hemdenmarken Deutschlands und Mitglied der Bremer Baumwollbörse. Das Familienunternehmen aus Bielefeld steht seit mehr als 100 Jahren für Hemden und Blusen mit einem hohen Anspruch an Qualität. Gerd Oliver Seidensticker, geschäftsführender Gesellschafter, führt zusammen mit seinem Cousin Frank Seidensticker die Unternehmensgruppe in der dritten Generation. Im Interview mit der Bremen Cotton Report-Redaktion spricht er über die Bedeutung von Nachhaltigkeit, Lehren aus der Coronakrise und natürlich über Baumwolle – dem wichtigsten Rohstoff für Hemden.
Was macht Ihre Produkte so besonders?
Beginnen wir bei der Qualität. Wir sind in unserer Geschichte nur selten Kompromisse in dieser Hinsicht eingegangen. So bekommt der Kunde immer eine Top-Produkterfahrung, sowohl was Passform als auch die physikalische Qualität angeht. Hinzu kommt, dass Seidensticker als eine der ersten Marken schon in den 50er Jahren aktiv Markenwerbung machte. Ich nenne es die Pralinenschachtel drumherum: Man muss das Produkt bewerben. Insgesamt hat das zu einer hohen Bekanntheit und Begehrlichkeit der Marke geführt. Das dritte Argument, vor allem für die Konsumenten, ist wohl die modische Wandlungsfähigkeit.
Baumwolle ist der wesentliche Rohstoff Ihrer Produkte. Gibt es einen Grund für diese Präferenz?
Ja, für die Deutschen und Anrainer sind Qualitätshemden nach wie vor aus Baumwolle. Zwar gibt es hier und da ein bisschen Stretchanteil, aber ausgesprochen wenig High-Tech. Was ich überhaupt nicht verwerflich finde, denn von den Trageeigenschaften her ist Baumwolle extrem angenehm. Ich mag die Haptik, ihre Eigenschaften und eben das Gefühl, etwas Natürliches auf der Haut zu haben. Hier folgen wir der Präferenz des Kunden. Dabei ist es wichtig, die benötigte Stapellänge und Garnqualität zu berücksichtigen. Leider hat die Kennerschaft hinsichtlich der Baumwollqualität abgenommen. So ist der Kunde gelegentlich verwirrt, weil er glaubt, diese Qualität auch zu günstigeren Preisen bekommen zu können. Wir haben für uns klare technische Anforderungen an Stapellänge und Garnqualität definiert.
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit für Ihr Unternehmen?
Nachhaltigkeit ist in meinen Augen von einem sogenannten „Hygienefaktor“ zu einer „sine qua non“ Bedingung geworden – ohne diese geht es nicht mehr. Das freut uns, denn wir haben uns schon 2007 völlig gegen den Trend wieder für den Aufbau eigener Produktionen entschieden. Den Anspruch, der vom Endverbraucher, von den Systemen, aber auch von der Rechtsprechung auf uns zukommt, können wir so gut beherrschen.
Wie beurteilen Sie in diesem Kontext die Verpflichtungen des Lieferkettengesetzes?
Wir begrüßen das Lieferkettengesetz insofern, dass die Rechtsetzung nun Rahmenbedingungen und notwendige Regulative schafft. Kritisch sehe ich die nationale Reichweite, die zu einer Verzerrung führen könnte. Große, vertikal organisierte Unternehmen, die nicht aus Deutschland kommen, erhalten so einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den hiesigen Unternehmen – denn Nachhaltigkeit gibt es nicht zum Nulltarif. Seidensticker sehe ich allerdings in der Entwicklung eine Nasenlänge voraus, denn unsere bisherigen Investitionen werden dadurch zur Verpflichtung.
Sie planen, 2023 die vollständige Transparenz der Lieferkette zu erreichen. Welche Schritte und Methoden nutzen Sie dafür?
Transparenz schaffen kommt bei uns aus intrinsischer Motivation, das kann ich ehrlich sagen. Als erstes haben wir dafür in unsere eigenen Betriebe investiert, die Marke Seidensticker kommt zu großen Teilen aus eigener Fertigung. Dann nutzen wir ein eigenes Softwaresystem zur Dokumentation und Kontrolle unserer Nachhaltigkeitsstandards. Was die Tiefe angeht: Praktisch 100 Prozent der direkt beauftragten Lieferanten sind auf der Tier 1-Ebene unabhängig auditiert oder zertifiziert. Außerdem kennen wir fast 100 Prozent unserer Tier 2-Lieferanten, also die Weber. Auf Ebene der Gewebeherstellung verfügen ebenfalls bereits etwa 70 Prozent der Lieferanten über externe Auditierungen oder Zertifikate, Tendenz steigend. Die tieferen Stufen der Wertschöpfungskette, also die Garnherstellung oder der Baumwollanbau, sind für uns als mittelständisches Unternehmen schon schwieriger zu kontrollieren. Aber auch bei diesen Stufen streben wir an, sie zu 100 Prozent zu überblicken.
Wissen Sie, woher Ihre Baumwolle kommt?
Wir kaufen die Baumwolle, je nach dem für welches Land wir fertigen. Das ist oft US-Baumwolle oder chinesische Baumwolle, bei der wir anhand von Rechnungen den Ursprung sicherstellen. Wir greifen auch auf Baumwolle aller großen Anbauregionen zurück. Zudem nutzen wir zertifizierte Baumwolle, zum Teil Biobaumwolle und sind Mitglied der Better Cotton Initiative.
Welches Fazit ziehen Sie aus den Erfahrungen mit der Coronakrise?
Nach dem ersten Schock haben wir das getan, was wir immer machen (sonst vielleicht etwas langsamer): das Neue und Unerwartete begrüßen. An vielen Fronten mit viel Ungewissheit zu arbeiten, hat uns positiv herausgefordert. Man muss aber auch damit umgehen können. Es war eine tolle Erfahrung, wie unsere Leute mitgezogen haben und Reformkräfte initiativ wurden.
Konkret für unsere Prozesse bedeutete es: Unser Time-to-Market musste beschleunigt werden, einfach, weil zeitweise nun viel Ware im Markt sein wird, aber auch, um noch näher am Endverbraucher zu sein. Hier konnten wir durch digitale Tools und Videokonferenzen Prozesse einleiten, die bis zu vier Wochen Produktionsdurchlauf sparen. Durch Corona beschleunigt sich zudem der Modetrend, dass Menschen immer weniger bereit sind, sich für die Arbeit zu verkleiden. Ich nenne das den „New Office Look“. Wir müssen uns diesem Trend anpassen, weshalb wir in unseren Kollektionen den Anteil von Wirk- und Strickwaren deutlich erhöht haben.
Haben Sie als Verwender von Baumwolle einen Wunsch an die Baumwollindustrie?
Den ersten können Sie natürlich schwer erfüllen: Preisstabilität. Aber darüber hinaus glaube ich, dass das Thema Biobaumwolle wichtiger wird. Es wird zunehmend Probleme mit den Bedarfen geben – trotz der Preise, die schwer an den Endverbraucher zu transportieren sind. Sie kennen den Preis für hochwertige Biobaumwolle selbst wahrscheinlich am besten. Es wäre schade, wenn das nur über den Preis eines zunehmend knappen Gutes abgehandelt wird. Auch wir zögern immer noch bei der Menge von Biobaumwolle, weil der Preis zu hoch ist. Ich bin überzeugt, dass das Thema kein kurzfristiger Trend ist, sondern anhält. Da bleibt nur die Hoffnung auf eine „Economy of Scale“, die auch auf den Preis wirkt.