Interview mit Thomas Oetterli, CEO Rieter
Rieter ist der weltweit führende Anbieter von Systemen für die Herstellung von Garn aus Stapelfasern in Spinnereien. Das Unternehmen mit Sitz in Winterthur, Schweiz, entwickelt und fertigt Maschinen, Systeme und Komponenten für die wirtschaftlich optimale Verarbeitung von Naturfasern und synthetischen Fasern sowie deren Mischungen. Rieter ist Mitglied der Bremer Baumwollbörse. Die Redaktion des Bremen Cotton Report sprach mit Konzern-CEO Thomas Oetterli über die aktuellen Herausforderungen im Geschäft mit Spinnereimaschinen, die Bedeutung unterschiedlicher Märkte und die Rolle des Rohstoffs Baumwolle.
Bremen Cotton Report: Inwiefern macht sich die gedämpfte Nachfragesituation der Spinnereien auch in Ihrem Geschäft bemerkbar?
Thomas Oetterli: Auch Rieter spürt die gedämpfte Nachfragesituation der Spinnereien. Für die kommenden Monate gehen wir angesichts der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der anhaltenden zyklischen Marktschwäche weiterhin von einer unterdurchschnittlichen Nachfrage nach neuen Anlagen aus. Eine Belebung erwarten wir frühestens gegen Jahresende 2023. Ebenso wird sich nach unserer Einschätzung auch die Nachfrage nach Verbrauchs-, Verschleiß- und Ersatzteilen erst gegen Ende 2023 erholen.
Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit in der Textilbranche für Ihre Unternehmensstrategie?
Rieter bekennt sich seit Jahren zur Nachhaltigkeit in Bezug auf Umwelt, Soziales und Unternehmensführung «Environment, Social, Corporate Governance» (ESG). ESG ist integraler Bestandteil unserer Unternehmensstrategie. Dabei werden zwei Dimensionen berücksichtigt: die Entwicklung und Bereitstellung hochwertiger, effizienter Technologien für den Spinnprozess und die Minimierung des eigenen ökologischen Fußabdrucks.
Für den Spinnprozess bietet Rieter Spitzentechnologien, bei denen Digitalisierung und künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen, um die Energieeffizienz zu steigern und den Rohstoffeinsatz zu optimieren. Unsere Recycling-Spinnsysteme ermöglichen den Spinnereien, die mit den mechanisch recycelten Fasern verbundenen Herausforderungen zu meistern. So können unsere Kunden vom steigenden Bedarf an nachhaltigen Textilien profitieren. Gleichzeitig leisten die Recycling-Systeme einen Beitrag zur Reduzierung von Textilabfällen und begünstigen die Rahmenbedingungen für die Entstehung einer Kreislaufwirtschaft. Neben den Technologien unterstützen wir unsere Kunden auch mit textilem Know-how bei der Herstellung neuartiger Garne aus recycelten oder aus chemisch produzierten Fasern.
Wir arbeiten intensiv daran, den ökologischen Fußabdruck in allen Bereichen des Unternehmens zu reduzieren und diesen gemeinsam mit den Lieferanten auch entlang der Wertschöpfungskette zu verringern.
Rieter ist bekannt für seine hohe Innovationskraft. Wie kommt das Baumwollspinnern zugute? Welche Neuerungen bieten Ihre aktuellen Produkte gegenüber den bisherigen Modellen?
Die Naturfaser Baumwolle bringt einzigartige Herausforderungen bei der Verarbeitung mit sich, wie inhomogene Faserlängen oder variierenden Schmutzanteil. Rieter-Maschinen sind darauf ausgelegt, aus diesen Baumwollfasern das Maximum an Qualität bei optimaler Rohmaterialausbeute herauszuholen.
Ein Beispiel dafür ist unsere Karde, das Herzstück der Spinnerei. Die Hochleistungskarde C 81 ist ein Vorreiter in der Industrie, denn sie arbeitet mit künstlicher Intelligenz. Der Kardierspalt entscheidet über die Kardierqualität. Je präziser der Spalt eingestellt werden kann, desto besser die Garnqualität. Bei der Karde C 81 kalkuliert eine intelligente Software den idealen Spalt, der über die elektronische und zentral verstellbare Deckeleinstellung permanent optimal geregelt wird. Mit dieser sogenannten Carding Gap Control können bei gleicher Qualität zehn Prozent mehr produziert werden. Eine weitere neue Funktion ist der Trash Level Monitor, der den Verschmutzungsgrad der zugeführten Flocken und des produzierten Kardenbands in Echtzeit überwacht. Ein wichtiges Element ist eine optische Bildverarbeitung mit einem neuronalen Netzwerk. Resultat ist eine optimale Rohmaterialausbeute und eine vorhersehbare Garnqualität.
Um Premium-Baumwollgarne herzustellen, empfiehlt sich der gekämmte Spinnprozess. Die Kämmmaschine E 90 erzielt mit 100 Kilogramm Kämmband pro Stunde die höchste Produktivität aller Kämmmaschinen auf dem Markt. Dank dem Einsatz innovativer Technologiekomponenten kann gleichzeitig eine deutlich tiefere Auskämmung erreicht werden, was die Flexibilität des Spinners bei der Rohmaterialausnutzung erhöht. Das ist nicht nur wirtschaftlich sinnvoll, sondern unterstreicht auch unser Engagement für Nachhaltigkeit und effiziente Ressourcennutzung.
Welche Zukunft sehen Sie für die Baumwollspinnerei angesichts der zunehmenden Konkurrenz der synthetischen Fasern?
Die rund 25 Millionen Tonnen Baumwolle, die jedes Jahr versponnen werden, bleiben ein ganz wichtiger Bestandteil des Kurzstapelmarktes. Neben den Vorteilen wie hohem Tragekomfort und Langlebigkeit ist sie auch nachwachsend und biologisch abbaubar. Anstelle einer Substitution sehen wir vor allem Mischungen, zum Beispiel mit anderen aufstrebenden Naturfasern wie Hanf. Hier ist Baumwolle eine Trägerfaser und damit eine wertvolle Ergänzung. Aber auch Mischungen mit Polyester und Viskose spielen im Markt eine Rolle, wobei hier der Nachhaltigkeitsaspekt nicht außer Acht gelassen werden sollte. Zu beobachten ist aber auch die wachsende Kreislaufwirtschaft. Hier werden recycelte Baumwollfasern typischerweise mit Rohbaumwolle gemischt, um eine entsprechende Garnqualität zu gewährleisten.
Welche Strategie verfolgt Rieter auf den asiatischen Märkten, wo liegen die Schwerpunkte?
Die asiatischen Länder sind traditionell ein bedeutender Markt für Rieter. Ein Schwerpunkt ist weiterhin China. Hier gibt es eine zunehmende Inlandsnachfrage, das heißt die lokalen Spinnereien investieren verstärkt in neue Maschinen, Digitalisierung und Automatisierung, um auf dem heimischen Markt wettbewerbsfähig zu bleiben. Gleichzeitig werden Kapazitäten von China beispielsweise nach Pakistan, Bangladesch, Vietnam und Usbekistan verlagert. Auch hier sind Spitzentechnologie und das Know-how von Rieter gefragt.
Ist Afrika ein Zukunftsmarkt für Ihr Geschäft?
Punktuell ist Afrika ein wichtiger Markt für Rieter. Dazu zählt beispielsweise das Projekt Mahalla in Ägypten. Hier rüsten wir die Textilfabriken mit Ring- und Kompaktspinnsystemen aus, um den Energieverbrauch zu senken und die Produktion zu erhöhen. Wir sind sehr stolz, an diesem Großprojekt beteiligt zu sein und diesen Markt bedienen zu können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interviews entsprechen der Meinung des jeweiligen Interviewpartners und geben nicht die Position der Bremer Baumwollbörse als neutrale, unabhängige Institution wieder.