– Interview mit Dr. Jesse Daystar, Chief Sustainability Officer von Cotton Incorporated –
Der Klimawandel wirkt sich zunehmend auf die Wertschöpfungskette von Baumwolle aus. Im Interview mit der Cotton Report Redaktion beleuchtet Dr. Jesse Daystar, Chief Sustainability Officer von Cotton Incorporated, verschiedene Aspekte des Klimawandels und der Nachhaltigkeit bei Baumwolle. Der Nachhaltigkeitsexperte hebt die Fortschritte der Baumwollproduktion in den letzten Jahren hervor, erläutert das Potenzial der regenerativen Landwirtschaft und schätzt die Auswirkungen der anstehenden Nachhaltigkeitsgesetzgebung ein.
Bremen Cotton Report: Wie trägt der Anbau und die Verarbeitung von Baumwolle zu den Auswirkungen des Klimawandels bei oder mildert diese ab?
Jesse Daystar: Der Anbau und die Verarbeitung von Baumwolle haben sich kontinuierlich verbessert, wie die Reduzierung der Treibhausgasemissionen pro Kilogramm Baumwolle um 25 Prozent in den letzten 40 Jahren in den USA zeigt. Diese Verringerung ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen, darunter verbesserte landwirtschaftliche Praktiken wie Präzisionsbewässerung, reduzierte Bodenbearbeitung, optimierter Düngemitteleinsatz, Zwischensaaten zur Erosionsverminderung und Fruchtwechsel. Aber auch technologischer Fortschritt und verbesserte Verarbeitungsmethoden führten zu einer höheren Effizienz bei der Baumwollverarbeitung.
Über die Landwirtschaft hinaus tragen auch Innovationen in der Textilproduktion, wie der Einsatz erneuerbarer Energiequellen und Verbesserungen in der Produktionseffizienz, zur Verringerung des CO2-Fußabdrucks von Baumwollprodukten bei.
Welche wichtigen Fortschritte wurden in den letzten 10 Jahren im Bereich der Nachhaltigkeit in der Baumwollindustrie erzielt?
Die Baumwollanbaupraktiken haben sich im Laufe der Zeit weltweit stark verändert. Vor allem in den Vereinigten Staaten wurde großer Wert auf Innovation und kontinuierliche Verbesserung gelegt, was zu einer deutlichen Verringerung des Wasser-, Land- und Energiebedarfs im Baumwollanbau sowie zu einer geringeren Bodenerosion und weniger Treibhausgasemissionen führte. Diese Fortschritte gingen mit einer Steigerung der Ernteerträge einher.
In den letzten vier Jahrzehnte konnten die US-Baumwollbauern einen bemerkenswerten Rückgang des Wasserverbrauchs um 58 Prozent verbuchen. Dazu kommt die erfolgreiche Reduktion des Energieverbrauchs um 30,6 Prozent und der Treibhausgasemissionen um 25 Prozent.
Wo sehen Sie die größte Herausforderung in der Wahrnehmung der Verbraucher in Bezug auf die Nachhaltigkeit von Baumwolle?
Das Bewusstsein für nachhaltigen Baumwollanbau mag zwar unterschiedlich ausgeprägt sein, aber es besteht ein immenses Potenzial, verschiedene Akteure über die ökologischen und sozialen Vorteile einer nachhaltigen Baumwollproduktion aufzuklären. Von den Erzeugern über die Marken und Einzelhändler, die die Baumwolle beziehen, bis hin zu den Menschen, die sie kaufen und tragen: Es ist es von entscheidender Bedeutung, dass alle Zielgruppen Zugang zu exakten Informationen haben. Cotton Incorporated widmet sich seit Jahren intensiver Forschungsarbeit, um die weit verbreiteten Mythen über Baumwolle aufzuklären.
Trotz aller Herausforderungen gibt es bei Verbrauchern einen wachsenden Trend hin zu Naturfasern und einem nachhaltigeren Kaufverhalten. Weltweit geben 78 Prozent der Konsumenten an, dass Kleidung aus Baumwolle (40 Prozent), Denim (22 Prozent) oder Baumwollmischungen (16 Prozent) vorziehen, so die Umfrage 2023 Global Lifestyle Monitor™ des Cotton Council International und Cotton Incorporated. Indem sie die überlegene Qualität, Langlebigkeit und ethische Beschaffung nachhaltigerer Baumwollprodukte herausstellt, kann die Branche Verbraucher ansprechen, die Wert auf ökologische und soziale Verantwortung legen.
Was verbirgt sich hinter dem Trend zur regenerativen Landwirtschaft, und könnte er der Schlüssel zum Wandel des Baumwollsektors sein?
In den letzten Jahren hat die regenerative Landwirtschaft als Reaktion auf die besorgniserregende Bodendegradation, den Klimawandel und Nachhaltigkeit in der konventionellen Landwirtschaft vermehrt Aufmerksamkeit erhalten.
Dabei ist es wichtig, die Unterschiede zwischen nachhaltig und regenerativ zu verstehen. Nachhaltigkeit bezieht sich auf Praktiken, die langfristig beibehalten werden können, ohne die Ressourcen zu erschöpfen oder die Umwelt zu schädigen. Regenerative Praktiken gehen über die Nachhaltigkeit hinaus, indem sie Ökosysteme und natürliche Ressourcen aktiv wiederherstellen, erneuern oder revitalisieren.
Durch die Anwendung von Praktiken wie Fruchtfolge und konservierender Bodenbearbeitung können die Baumwollerzeuger die Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme verbessern und die langfristige landwirtschaftliche Produktivität fördern. Diese regenerativen Praktiken können nicht nur zur Kostensenkung beitragen, sondern auch das Nettoeinkommen erhöhen, was an verschiedenen Standorten eine Win-Win-Lösung für Landwirte und Umwelt darstellt.
Für die Erzeuger bieten sich hier große Chancen, doch die Einführung dieser Praktiken kann auch Risiken mit sich bringen. Initiativen wie das U.S. Cotton Trust Protocol ‚Climate Smart Cotton Program‘ unternehmen proaktive Schritte, um die Verbreitung regenerativer Landwirtschaftsmethoden zu unterstützen. Zu diesen Praktiken gehören die Einführung von Deckfrüchten, reduzierte Bodenbearbeitung und Nährstoffmanagement.
Wie beurteilen Sie die potenziellen Auswirkungen von Recyclinginitiativen und Kreislaufwirtschaftskonzepten?
Recyclinginitiativen und Konzepte der Kreislaufwirtschaft könnten erheblich zu einer nachhaltigen Baumwollverarbeitung und einem besseren ökologischen Fußabdruck der Baumwolle beitragen. Baumwolle ist von Natur aus kreislauffähig, da sie auf verschiedene Weise wiederverwendet und recycelt werden kann und alle Teile der Baumwollpflanze genutzt werden können.
Die Recyclingtechnologien entwickeln sich ständig weiter, und recycelte Pre- und Post-Consumer-Baumwolltextilien können in einer Vielzahl von Vliesstoffprodukten verwendet werden, die von Feuchttüchern, Filtern und Automobilanwendungen bis zu Bau- und Konstruktionsmaterialien reichen. Sogar Teile der Baumwollpflanze, die sonst als Abfall gelten würden, können wiederverwendet werden, z. B. zur Herstellung biologisch abbaubarer Verpackungen. Die Kompostierung von Baumwolle ist eine weitere Option, die wir erforschen. Dabei werden Baumwollabfälle zu nährstoffreichem organischem Material zersetzt. Durch die Anreicherung des Bodens verbessert Kompost dessen Struktur, die Wasserrückhaltung und erhöht den Nährstoffgehalt, was zu gesünderen Pflanzen und höheren Erträgen führt.
Trotz des Potentials der Kreislaufwirtschaft und des Recyclings müssen auch Kosten für solche Maßnahmen beachtet werden und in welchem Zusammenhang diese Kosten zum Produkt und weiteren Investitionen in verbesserte Nachhaltigkeitsergebnisse stehen. Es ist sowohl eine technische als auch finanzielle Herausforderung, das Recycling von Textilien von Kleidungsstück zu Kleidungsstück in großem Maßstab zu erreichen. Außerdem sind die Umweltvorteile im Vergleich zum Anbau neuer Baumwolle nicht immer eindeutig, insbesondere wenn regenerative landwirtschaftliche Verfahren eingesetzt werden.
Wie werden sich die zunehmenden Bemühungen von Ländern und Regionen, die Textillieferketten unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit zu regulieren, auf die Baumwolllieferkette auswirken?
Die verstärkten Regulierungsbemühungen im Hinblick auf die Nachhaltigkeit werden wahrscheinlich die Produktionskosten und Beschaffungsentscheidungen beeinflussen.
Eine zunehmende Bedeutung der Rückverfolgbarkeit wird mit einer zunehmenden Bedeutung von Nachhaltigkeitsdaten auf Länderebene einhergehen. In den vergangenen zwei Jahren hat Cotton Incorporated eng mit der Higg Cotton Expert Methodology Group von Cascale zusammengearbeitet. Ziel war es, gemeinsam mit anderen Baumwollinteressenvertretern eine gemeinsame Best Practice für die Erfassung von Baumwollproduktionsdaten, die Modellierung dieser Daten für Lebenszyklus-Bilanzierungen (Life Cycle Assessment) und die Nutzung dieser Daten zur Schaffung systematischer Veränderungen in der gesamten Lieferkette zu erarbeiten. Dieser Übergang zu Daten auf Länderebene und die Aufklärung über die Verwendung von Ökobilanzen wird entscheidend sein, um Fortschritte bei den globalen Klimaschutzzielen zu erzielen.
Darüber hinaus werden Rückverfolgbarkeits- und Nachhaltigkeitsdaten von Baumwolle und Baumwollerzeugern benötigt. Deshalb arbeitet Cotton Incorporated eng mit führenden landwirtschaftlichen Universitäten zusammen und bietet Forschern, die diese Technologien für Kleinbauern zugänglicher machen wollen, finanzielle Unterstützung, technische Beratung und wichtige Hilfsmittel.
Danke für das Interview!
Die Interviews in der Rubrik „Nachgefragt“ entsprechen der Meinung des jeweiligen Interviewpartners und geben nicht die Position der Bremer Baumwollbörse als neutrale, unabhängige Institution wieder.