– Interview mit Dr. Uwe Mazura, Hauptgeschäftsführer Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie e.V. (textil+mode) –
Im Gespräch mit der Bremen Cotton Report Redaktion (BBB) erläutert Dr. Uwe Mazura, Hauptgeschäftsführer Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie e. V. (textil+mode), die Schwierigkeiten, denen Textil- und Modehersteller seit Schaffung der deutschen und europäischen Lieferkettengesetze sowie der Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung gegenüberstehen.
Bremen Cotton Report: Wie bewerten Sie das europäische Lieferkettengesetz? Wird die Lage für die deutschen Textil- und Modehersteller damit einfacher, weil es endlich europäische Standards gibt?
Uwe Mazura: Nein, im Gegenteil. Der Anspruch der Bundesregierung, dass das deutsche Lieferkettengesetz quasi der Vorläufer und damit eine Vorbereitung auf die europäische Richtlinie ist, hat sich nicht erfüllt. Die Vorgaben unterscheiden sich erheblich und damit ist das Chaos perfekt. Es gibt neue Rechtsunsicherheiten. Zu einer Aussetzung des deutschen Lieferkettengesetzes bis zur Umsetzung der europäischen Richtlinie konnte sich die Bundesregierung nicht durchringen. Jetzt müssen wir sehen, was aus den schwammigen Zusagen wird, dass Unternehmen zumindest nicht doppelt und dreifach Berichte schreiben müssen. Neben dem Lieferkettengesetz ist ja nun auch die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, die sogenannte CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive), in der Umsetzung.
Der Gesamtverband textil+mode begleitet nicht nur die Gesetzgebungsprozesse in Berlin und Brüssel, sie haben auch eine CSR-Consulting-Agentur gegründet, die Unternehmen ganz praktisch berät. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Die Beratungsangebote unserer t+m-Consulting GmbH, aber auch der direkte Austausch mit uns als Verband und unseren Experten werden rege angenommen. Dabei stellt sich heraus, dass sowohl der europäische Gesetzgeber als auch die Bundesregierung Bürokratiemonster geschaffen haben, die alles andere als nachhaltig sind. Wenn selbst unser Justizminister davor kapituliert und feststellt, dass der Erfüllungsaufwand der CSRD-Umsetzung leider hoch sei, aber sich dies nicht vermeiden lasse, weil schließlich eine europäische Richtlinie umgesetzt werden müsse, verstehe ich die Welt nicht mehr. Der Gesetzgeber beziffert die Kosten für die Wirtschaft, die durch die Nachhaltigkeitsberichterstattung entstehen, auf 1,58 Milliarden Euro ab 2028. Hier entsteht ein gigantisches Konjunkturprogramm für Wirtschaftsprüfer. Das sollen nämlich die einzigen sein, die die Berichte prüfen dürfen.
Was entgegnet denn die Politik der Kritik aus der Wirtschaft?
Uns wird entgegengehalten, dass nur der Druck durch Gesetze dazu führt, dass die Welt nachhaltiger wird. Wer so argumentiert, hat keine Ahnung, wie Wirtschaftskreisläufe funktionieren. Mit dieser Art von Bürokratiemonstern schädigen die Gesetzgeber ausgerechnet die Unternehmen, die ihre Verantwortung entlang der Lieferketten jeden Tag wahrnehmen. Das sind mittelständische Unternehmen, oft familiengeführt, die nach bestem Wissen und Gewissen Qualität produzieren, vertrauensvolle Kontakte zu Rohstofflieferanten und Produzenten pflegen und dort, wo sie unternehmerisch unterwegs sind, Standards setzen. Ausgerechnet solche Unternehmen in Ketten zu legen, ist alles andere als nachhaltig, sondern grob fahrlässig.
Aber kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind doch noch gar nicht betroffen, wenn es um das Lieferkettengesetz und die Pflicht für eine Nachhaltigkeitsberichterstattung geht?
Oh doch! KMU bekommen stapelweise Formulare und Anfragen von berichtspflichtigen Geschäftspartnern. Wenn sie die Infos nicht liefern, ist der Auftrag weg. Der Aufwand ist enorm. Nehmen Sie beispielsweise ein einfaches Herrenoberhemd. Das durchläuft 140 Stationen vom Baumwollfeld bis zum Bügel. Die sollen sie alle kennen und im Zweifelsfall darüber detailliert Auskunft geben können. Das ist ein Teufelskreis – zumal sie nach der europäischen Lieferkettenrichtlinie als Unternehmer ja auch noch dafür haften sollen. Nach einer Mittelstandsbefragung der Landesbank Baden-Württemberg sind drei Viertel der Unternehmen vom Lieferkettengesetz betroffen, die Hälfte der Unternehmen meidet bereits risikoreiche Zulieferer. Ein knappes Drittel plant, sich aus risikoreichen Ländern zurückzuziehen.
Was bedeutet das konkret?
Dass der Appell der Bundesregierung, Lieferketten zu diversifizieren nicht aufgehen wird. Welcher Unternehmer traut sich in einer derartigen Gemengelage, beispielsweise neue Lieferketten in afrikanischen Ländern aufzubauen. Da bleiben Sie lieber bei ihrem chinesischen Zulieferer, den sie schon seit Jahrzehnten kennen. Bei uns melden sich inzwischen sogar Nachhaltigkeitsmanager zu Wort, die sagen: „Oh Gott, was hat der Gesetzgeber mit diesen Bürokratiewalzen angerichtet! Es bleibt gar keine Zeit mehr, grundlegend an Nachhaltigkeitsthemen zu arbeiten. Stattdessen müssen kilometerlange Checklisten und seitenweise Berichte geschrieben werden.“ Ja, genau so ist es. Und das ist traurig. Denn in einer globalisierten Wirtschaft stehen bereits die parat, die jeden Tag Hunderttausende Päckchen mit Billigware per Luftfracht direkt vom chinesischen Produzenten zum Online-Kunden in Europa transportieren. Das ist schon von der schieren Masse nicht mehr zu kontrollieren, ganz zu schweigen von der Nachhaltigkeit, mit der diese Geschäftsmodelle nun rein gar nichts zu tun haben. Und das Nachsehen haben ausgerechnet die Unternehmen, die sich schon von ihrem Grundverständnis her mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Denn, um nicht falsch verstanden zu werden, der Weg in eine nachhaltige Textilindustrie ist richtig und wichtig. Aber nicht so, sondern mit Technologie, Innovationen und Anreizen für Forschung und Entwicklung. So wird ein Schuh daraus!
Danke für das Interview!
Die Interviews in der Rubrik „Nachgefragt“ entsprechen der Meinung des jeweiligen Interviewpartners und geben nicht die Position der Bremer Baumwollbörse als neutrale, unabhängige Institution wieder.