In Proben von nach Global Organic Textile Standard (GOTS) zertifizierten Baumwollgarnen aus Indien sind nach vorliegenden Informationen genveränderte Organismen (GVO) gefunden worden. Die GOTS-Richtlinien verbieten das. „Wir verlangen, dass der GOTS den im Raum stehenden Vorwürfen umgehend und gewissenhaft nachgeht. Der Ruf der Bio-Textilbranche steht auf dem Spiel“, fordert Roland Stelzer in einer Pressemeldung vom 18. August. Stelzer ist geschäftsführender Gesellschafter der süddeutschen Weberei Elmer & Zweifel sowie Produzent und Vertreiber der GOTS und teilweise IVN-Best zertifizierten Marke ‚cotonea‘.
Schon seit längerer Zeit wird in Branchenkreisen befürchtet, dass als Biobaumwolle angebotene Produkte aus Indien aufgrund der besonderen vielfältigen nebeneinander existierenden Produktionsstrukturen GVO enthalten. Selbst dann, wenn sie nach GOTS zertifiziert sind.
Das Schweizer Umweltmagazin Saldo recherchierte in Indien und ließ GOTS-zertifizierte Biogarn-Proben von einem deutschen Labor testen. Die der Redaktion vorgelegten Ergebnisse wiesen hohe GVO-Verunreinigungen auf. Darüber berichtete das Magazin ausführlich in seiner Ausgabe 12/2017.
Indien produzierte, wie dem Cotton Market Report 2016 von Textile Exchange zu entnehmen ist, in der Saison 2014/15 mit 75.251 Tonnen 66,9 Prozent der weltweit zur Verfügung stehenden Biobaumwolle in Höhe von 112.488 Tonnen. Dabei ging das indische Produktionsvolumen gegenüber der Vorjahressaison um 13,4 Prozent zurück. Die gesamte Baumwollproduktion Indiens betrug in der Saison 2014/15 5,746 Millionen Tonnen. Biobaumwolle hätte daran einen Anteil von 1,1 Prozent.
Obwohl die Farmer in Indien mit dem Verkauf von Biobaumwolle im Vergleich zur konventionellen Baumwolle höhere Preise erzielen, warnt Roland Stelzer in Anbetracht der Umstände davor, dass es irgendwann in Indien weder GVO-freie Baumwolle noch Saatgut geben könnte. Dies vor allem, weil nach seiner Einschätzung der Anteil der in Indien angebauten GVO-Baumwolle inzwischen bei weit über 90 Prozent liege. Dies sei auch der Grund für die großen Probleme des Biobaumwollanbaus, die auch schon 2009 weltweit diskutiert wurden. „Damals ging man davon aus, dass die Bio-Textilbranche sich nicht den Ast absägen würde, auf dem sie sitzt und sie deshalb fortan die Produktionsabläufe stärker selbst überwachen würde. Doch daraus wurde leider nichts“, so Roland Stelzer.
Er selbst lässt Saatgut und Baumwolle etwa aus eigener Produktion in Kirgisien und Uganda durch das Speziallabor Impetus Bioscience in Bremerhaven auf GVO-Rückstände testen. Er sieht sich in der Verpflichtung, die über Zertifikate und darüber hinaus für ‚cotonea‘ gegebenen Markenversprechen einzuhalten und will Sicherheit bieten.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass auch das ICA Bremen als Jointventure von Bremer Baumwollbörse und ICA Liverpool in Kooperation mit Impetus Bioscience DNA-Analysen zur Prüfung auf gentechnische Veränderungen anbietet.
Auf der Stufe des Baumwollhandels unterstreicht Marco Bänninger, Biobaumwollspezialist bei der Schweizer Paul Reinhart AG die Sorgen der Branche: „Es ist im Baumwollhandel allgemein bekannt, dass der Einkauf von Biobaumwolle aus Indien mit hohen Risiken behaftet ist. Es kommt vor, dass konventionell angebaute oder gar GVO-Baumwolle als ‚organic‘ angeboten wird und diese sogar über ein Zertifikat verfügt. Es scheint je nach Motivlage unterschiedliche Schlupflöcher zu geben. Mit diesem Wissen ist man gut beraten, sich beim Einkauf von organischer Baumwolle aus Indien nicht ausschließlich auf die Dokumente der Zertifikatgeber zu verlassen. Konkret heißt das für den Handel, dass Kenntnisse über den Lieferanten der Baumwolle und dessen Anbaugebiete eine unbedingte Voraussetzung sind, um die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in Biobaumwolle nicht zu gefährden. Außerdem sollten Offerten von angeblich organisch produzierter Baumwolle genau geprüft werden. Bei Biobaumwolle, welche zum gleichen Preis oder zu lediglich einer sehr marginalen Aufschlags-Prämie gegenüber konventionell angebauter Baumwolle offeriert wird, sollten vertiefte Abklärungen über den Lieferanten und den Ursprung der Baumwolle getätigt werden. Allein wegen der bekannten Risiken in Indien sind wir dazu übergegangen, Biobaumwolle vermehrt bei Partnern zu kaufen, wo die Vertrauensbasis stimmt. Dies gilt in unserem Fall für Tansania“, so Marco Bänninger.
Auf Seiten der GOTS-Organisation nimmt man die aufkommende Besorgnis zur Kenntnis. Gemeinsam mit einigen Brands und Retailern ist man bereits dabei, auftretende Probleme zu bewältigen. Dies mit dem Ziel, Industrie und Konsumenten transparent und eindeutig Auskunft über Herkunft und Produktionsweisen ihrer gekauften Produkte geben zu können. Vor wenigen Tagen veröffentlichte GOTS auf seiner Homepage ein abrufbares Positionspapier mit einer ausführlichen Erklärung zur Vermeidung und zur veritablen Prüfung von GVO-Verunreinigungen in Textilien, hergestellt aus zertifizierter Biobaumwolle inklusive GOTS.
Claudia Kersten, Direktorin Marketing und Finanzen bei GOTS: „Im GOTS-Standard ist längst festgelegt, dass die von uns beauftragten Zertifizierungsunternehmen verpflichtet sind, Risikoeinschätzungen nach vorgegebenen Richtlinien bezüglich etwaiger Verunreinigung von Baumwolle durch GVO’s vorzunehmen und entsprechend zu testen. Dies idealerweise zu einem frühen Zeitpunkt noch vor der Entkörnung, damit GVO-Baumwolle gar nicht erst in die Verarbeitungskette gelangt. Im Übrigen bitten wir alle Marktteilnehmer uns sofort zu informieren, wenn sie Ungereimtheiten feststellen, damit wir diesen unmittelbar nachgehen.“
Weil im vorliegenden Fall Baumwollgarnproben untersucht wurden, hält GOTS die vorgelegten Ergebnisse nicht für ausreichend veritabel. Laut GOTS arbeiten die Labore momentan nach unterschiedlichen eigenen, teils nicht öffentlichen Testmethoden. GOTS will deshalb mit Hilfe externer Unterstützung eine international aufgelegte Teststudie auf den Weg bringen. Anhand einer wesentlich größeren Anzahl von Proben und deren Prüfungen auf Saatbaumwoll- oder Lintniveau soll festgestellt werden, ob die Ergebnisse zufriedenstellende Ergebnisse bringen und ob und wie es wirklich möglich ist, GVO in höheren Verarbeitungsstufen zu identifizieren und zu quantifizieren. Dazu wurde ein Prozess zur Entwicklung einer EN/ISO-Norm für GVO-Tests bei Baumwolle angestoßen.
Für mehr Informationen zum GOTS Positionspapier:
*auch veröffentlicht in Bremen Cotton Report Nr. 33/34 – 31. August 2017