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28. April 2022 / 150 Jahre Bremer Baumwollbörse: Das große Interview

Die Bremer Baumwollbörse wurde im Jahr 1872, also vor 150 Jahren, gegründet. 2022: Ein Jubiläumsjahr mit vielen Veranstaltungen, einer Buchveröffentlichung und einer Konferenz. Grund genug, mit dem Präsidium ein großes Interview zu führen, über die aktuelle Situation zu sprechen und einen Blick in die Zukunft zu werfen.

* Vizepräsident Ernst Grimmelt war zum Interviewtermin leider verhindert.

Cotton Report: Wir schreiben das Jahr 2022. In diesem Jahr wird die Baumwollbörse 150 Jahre alt. In der Redaktion finden wir, dass das eine sehr beeindruckende Zahl ist. Frau Silber, wie fühlen Sie sich gerade in diesem Jahr an der Spitze eines sehr traditionsreichen Verbandes?

Stephanie Silber: Es ist eine große Ehre, den Verband im 150. Jahr zu führen. Aber ich bin natürlich nicht allein, sondern habe ein Team mit drei Vizepräsidenten* und einer Geschäftsstelle, die das Ganze auch mit begleiten.

CR: In diesem Jubiläumsjahr gibt es ein großes Fest. Haben Sie besondere Aktivitäten geplant? Wird richtig Geburtstag gefeiert?

Jens D. Lukaczik: Ich wünsche mir erst einmal, dass wir tatsächlich feiern können. Groß feiern ist nie unser Anspruch gewesen, sondern traditionell, dem Anlass angemessen. Und wie es aussieht, werden wir auch das notwendige Glück haben, dass wir unsere längst geplante Veranstaltung stattfinden lassen können. Wir möchten unser Anniversary hier in Bremen gemeinsam mit unseren Freunden aus der weltweiten Baumwoll-Community begehen. Daher haben wir das Event in den Herbst gelegt, um eine Großveranstaltung überhaupt durchführen zu können.

SILBER: Andererseits gibt es natürlich die Sonderausstellung im Übersee-Museum als lokales Ereignis, um uns regional noch mal zu zeigen und um auch die Bremerinnen und Bremer abzuholen. Aber vielleicht gelingt uns bei der Ausstellung auch eine überregionale Darstellung.

CR: Herr Grobien, warum gibt es die Bremer Baumwollbörse überhaupt?

Fritz A. Grobien: Warum es die Baumwollbörse gibt? Ganz einfach: Man brauchte eine unabhängige Schiedsgerichtsstelle, um Streitigkeiten schnell und effektiv zu schlichten, zu entscheiden vor dem Hintergrund der Komplexität des Rohstoffhandels. Die Alternative wäre ein Zivilgericht. Erstens dauert das zu lange, das war damals schon so. Viel wichtiger ist aber: Beim Zivilgericht verstehen sie von der Ware nichts. Das heißt, die warenbezogenen Fragen würden sich nur durch einen Fachmann oder Gutachter lösen lassen und das kostet alles wiederum Zeit. Handel und Industrie haben sich dann an einen Tisch gesetzt, um sich auf ein gemeinsames Regelwerk zu einigen und es entstand eine Institution, die überparteilich unabhängig ist. Das ist das Besondere an der Baumwollbörse, weil sie in ihrer Gründung auch auf eine 50:50 Balance in den Gremien und auch in der Institution selbst geachtet hat. Die Überparteilichkeit war der ursprüngliche Gedanke.

CR: Hat sich die Baumwollbörse in den letzten 150 Jahren verändert, ist etwas geblieben von den alten Aufgaben?

SILBER: Natürlich beides und Veränderung ist immer auch etwas Positives. Geblieben ist auf jeden Fall die Unabhängigkeit, die Schiedsgerichtsstelle ist im Wandel. Während früher unser Fokus auf den deutschen Importen lag, ist er jetzt weltweit und die Mengen haben sich einfach geändert. Wir haben unsere Stärken eingesetzt, das Feld ausgebaut und arbeiten nun weltweit.

GROBIEN: Das erste war die Schiedsgerichtsfunktion, das ist sozusagen der Ursprungsgedanke. Dann kam dieser eigentliche Börsenbegriff, wo sich Käufer und Verkäufer treffen. Der wurde dann im Terminmarkt gelebt. Aber es sind viele Aufgaben dazugekommen. Dadurch, dass sich der Baumwollhandel weltweit stark im Laufe der 150 Jahre verändert hat, musste sich die Börse auch anpassen. Die Kernaufgabe ist geblieben: Das Wichtigste ist schon vom Ursprung her diese Überparteilichkeit und Unabhängigkeit und natürlich der Respekt, die Autorität, die damit einhergehen und die Glaubwürdigkeit.

LUKACZIK: Das Schiedsgericht ist ja immer noch der rote Faden, den wir mit ICA Bremen gerade über die qualitative Schiene weltweit abdecken. Und Schiedsgerichte gehen nur über Glaubwürdigkeit. Glaubwürdigkeit funktioniert nur mit Erfahrung und Respekt.

CR: Stichwort ICA Bremen. 2006 ist ICA Bremen durch ein wichtiges Joint Venture mit der ICA entstanden. Heute ist sie noch relativ jung im Vergleich zur alten Dame Baumwollbörse, aber doch schon relativ erfolgreich. Oder wie sehen Sie das?

LUKACZIK: ICA Bremen ist natürlich schon sehr erwachsen und hat jetzt dieses Alleinstellungsmerkmal: Wenn wir eine bestimmte Qualität klassieren, so wird das überall akzeptiert, sogar in Märkten wie China und den USA. Alle wissen, dass wir das Referenzlabor hinsichtlich der Baumwollqualitäten sind. Diese relativ schnelle Akzeptanz haben wir unserer Glaubwürdigkeit seit über 150 Jahren zu verdanken. Hier hat die Bremer Baumwollbörse vorgelegt, und zwar auch in Verbindung mit unserer Zusammenarbeit mit dem Faserinstitut. Da kommt der wissenschaftliche Anspruch zum Tragen, auf dem diese Qualität des Testens und das herausragende Knowhow beruht.

GROBIEN: Aber das fiel nicht vom Himmel. Nein, es war ein weiter Weg und viel Arbeit sowohl bei der ICA als auch bei uns. In Bremen lagen die Kompetenz und die physische Qualitätsbeurteilung der Baumwolle, Forschung, Entwicklung. Wir haben natürlich einige historisch bedingte Widerstände und vielleicht auch Ressentiments, Vorurteile überwinden müssen. Ich glaube, da steckt eigentlich das Besondere drin in dieser Aktion, dass die jüngere Generation, die mehr in die Verantwortung kam, das wollte. Sie hat gesehen, wie sich der Globus verändert.

LUKACZIK: Die ICA hat eine sehr große, alte Tradition, so dass damals das Loslassen dort nicht einfach war. Aber auch die Entwicklung zur weiteren Internationalisierung der ICA hat natürlich geholfen, über den Tellerrand hinweg zu sehen. Dort legte man ebenso Wert auf Exzellenz wie hier.

SILBER: Beide Associations haben etwas aufgeben müssen, aber jeder hat seine Stärken eingebracht. Letztlich wollten wir etwas schaffen, was stark ist im globalen Handel. Denn nur damit erlangt man die Autorität, die man braucht, um sich durchzusetzen in dem komplizierten globalen Umfeld.

LUKACZIK: Und so reflektiert der Name an sich schon den gemeinschaftlichen Gedanken: ICA Bremen.

CR: Gibt es Ideen für die Zukunft von ICA Bremen?

LUKACZIK: Wachsen ist nicht unser primäres Ziel. Wichtig ist, dass wir unser ausgezeichnetes Level halten und uns gleichzeitig weiterentwickeln. Wir wollen unseren Qualitätsanspruch auf andere Marktteilnehmer übertragen, denn im Endeffekt lassen sich durch ein hohes Niveau, durch verbesserte Qualität Streitigkeiten reduzieren oder ganz vermeiden.

SILBER: Oft reicht ja dieses Zertifikat, dass es hier in Bremen geprüft wurde, schon dafür aus, um eine faire Lösung zu erreichen. Da muss dann nicht einmal der Schiedsrichter extra darauf gucken.

CR: Welche Herausforderungen hat die BBB in den letzten 25 Jahren gemeistert? Was liegt Ihnen besonders am Herzen?

LUKACZIK: Wir haben uns vom Verwaltungsapparat zum konstruktiv und progressiv denkenden Verband gewandelt. Unser Grundgedanke ist jetzt: Was können wir für die Baumwolle tun? Wir sehen uns nicht als Vertreter von Einzelinteressen, sondern einfach als Vertreter vom Naturprodukt Rohbaumwolle.

SILBER: Die Neutralität, die Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit. Durch unsere Vorfahren, die dieses Gebäude gebaut haben, können wir frei denken und dann auch Entscheidungen treffen, die vielleicht nicht Mainstream sind, aber im besten Sinne des Wortes nachhaltig und sinnvoll.

GROBIEN: Da hat ein bisschen das Glück mitgespielt, wenn man ehrlich ist. 1902 wurde dieses Haus als Luxusbürogebäude erstellt, zu den damaligen Standards. Aber dass es der Verein praktisch zum Nulltarif bekommen hat, ist der Hyperinflation in den 20er Jahren zu verdanken, denn bis dato hatte der Verein ja riesige Schulden.

CR: Wie konnte man sich denn so ein Haus überhaupt leisten?

GROBIEN: Als Ende des 19. Jahrhunderts die Baumwolle aus den USA kam, wurde hier praktisch jeder Ballen klassiert. Die amerikanischen Ablader hatten hier überall Dependancen und verkauften dann entweder über Agenten oder sogar Tochtergesellschaften an die Spinnereien, an die Textilbetriebe. Damals hat man in den USA die Baumwolle aufs Schiff gepackt und diese wurden dann hier in Bremen in der Baumwollbörse klassiert. Das zeigt wieder unsere Glaubwürdigkeit und das damit verbundene Vertrauen. Mit dieser Dienstleistung verdiente der Verein damals viel Geld.

Die erste Auslandsrepräsentanz der Vereinigten Staaten von Amerika war nirgendwo anders als in Bremen. Baumwolle aus den Südstaaten war einer der wichtigsten Devisenbringer. Viele Firmen waren, blickt man auf die Historie, entweder von Amerikanern oder mit amerikanischen Partnern gegründet worden. Diese Verzahnung ist auch ein Ursprung unseres heutigen Status. Sie ist Ursprung für Akzeptanz, Glaubwürdigkeit, anerkannte Autorität auch außerhalb unserer Landesgrenzen. Es ist einfach, das selbst national darzustellen, aber international war es schon schwieriger.

CR: Wo sehen Sie die Baumwollbörse in fünf Jahren?

LUKACZIK: Ich sehe uns als neutralen Ratgeber und Wissensquelle für relevante Fragen zur Lieferkette der Baumwolle. Und dass alle relevanten Akteure unsere Informationen tatsächlich auch für wichtig und wahr und relevant halten.

SILBER: Da sehe ich auch noch eine Entwicklung, dass wir uns als feste Größe etablieren, national und auch in der Europapolitik. Politik ist ein gutes Stichwort. Da ist uns eine Etablierung gelungen, und in Zukunft steht das Thema Lieferketten auch in Brüssel auf dem Plan. Hier liegt noch einiges an Engagement vor uns.

Die ganze Kette muss letztlich wissen, wo kommen wir her, wo gehen wir hin? Und zwar in einer transparenten und nachvollziehbaren Form. Wie können wir da Hilfestellung geben? Können wir uns da auch einbringen, damit kein Unsinn passiert? Wir sind ja sehr stark in der Politik tätig, weltweit und auch im nahen politischen Umfeld. Wir engagieren uns, weil wir unser Wissen, unsere Autorität im Sinne unserer Branche einbringen.

Diese Themen – Sorgfaltspflichten, Lieferketten – bleiben der Schwerpunkt für die nächsten fünf Jahre, mindestens. Hier ist es wichtig, durch unsere Glaubwürdigkeit zu vermeiden, dass mit Unwahrheiten und Fake News gearbeitet wird.

CR: Reden wir weiter über die Zukunft. Wie sieht es denn weltweit in fünf Jahren aus?

GROBIEN: Ich glaube ganz fest, dass unsere Themen durch die Diskussionen rund um den Klimawandel gestärkt werden. Wir brauchen alle Fasern, aber der Wettbewerb muss auch fair bleiben. Ich bin überzeugt, es ist ganz wichtig, dass wir da eine Rolle spielen.

SILBER: Dem würde ich zustimmen. Bei wachsender Weltbevölkerung wird es Probleme geben, die Menschen müssen ja nicht nur ernährt, sondern auch bekleidet werden. Mikroplastik und die kommenden Herausforderungen der Landwirtschaft sind da weitere Stichworte für Aufgaben, die auf uns zukommen. Wir benötigen alle Fasern im Markt, kein Rohstoff sollte unfair behandelt werden. Als Baumwollbörse wollen wir einen fairen Wettbewerb. Was da aber im Moment in Brüssel passiert, ist wirklich kritisch. Da sind wir gefordert, dem werden wir uns stellen.

CR: Ist das schon das Schlusswort?

SILBER: Nicht ganz, ich würde gerne mit einer positiven Aussicht enden und noch mal den Fokus auf dieses so besondere Jahr für die Baumwollbörse legen. Wir haben viele spannende Ereignisse rund um unser Jubiläum geplant. Im Mittelpunkt steht natürlich die Baumwolltagung im September. Aber auch im Frühjahr wollen wir uns den Bremerinnen und Bremern mit einem Tag der offenen Tür präsentieren. Hier steht das Jubiläumsbuch ganz im Fokus, das einen wirklich schönen Eindruck unserer Historie gibt. Auch die Ausstellung zum Thema Baumwolle im Übersee-Museum ermöglicht noch mal einen neuen Zugang zum Thema Baumwolle, aktuell und im Rückblick. Wir freuen uns, wenn viele Menschen auf der ganzen Welt mit uns feiern.

Wir danken Ihnen für dieses Gespräch!

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