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30. April 2024 / Nachgefragt: Herausforderungen und Chancen für die „Vereinten Nationen“ der Baumwolle

– Interview mit Eric Trachtenberg, Executive Director, ICAC –

Das International Cotton Advisory Committee (ICAC) ist eine 1939 gegründete Mitgliedsvereinigung aus Ländern, die Baumwolle erzeugen, verarbeiten und handeln. Eric Trachtenberg ist seit August 2023 als neuer Executive Director des ICAC tätig. In diesem Interview mit Bremen Cotton Report spricht er über die Aufgaben des ICAC, aktuelle Herausforderungen der Baumwollindus­trie und anstehende Gesetzgebungsverfahren.

Wie würden Sie die Rolle des ICAC in der Welt der Baumwolle beschreiben?

Als zwischenstaatliche Organisation haben wir derzeit 27 Mitgliedsländer. Für diejenigen, die uns nicht kennen, bezeichne ich das ICAC gerne als die „Vereinten Nationen der Baumwolle“. Da wir in erster Linie unseren Mitgliedsländern gegenüber verantwortlich sind, besteht unsere Aufgabe darin, diese bei der Verwirklichung ihrer Ziele in Bezug auf Baumwolle zu unterstützen. Diese können jedoch unterschiedlich sein: In den großen Exportländern wie den USA, Brasilien oder Australien besteht unser Ziel beispielsweise darin, die Baumwollwirtschaft weltweit zu unterstützen. Dabei ist es wichtig zu unterstreichen, dass Baumwolle ein globales öffentliches Gut ist. In anderen Ländern, wie Bangladesch, liegt der Fokus auf Textilien mit Verbindung zur Baumwolle. In Afrika gibt es ein großes Interesse sowohl an Baumwolle wie auch an der Erweiterung der Wertschöpfungskette, um die Faser vor Ort zu verarbeiten. In Europa schließlich liegt der Schwerpunkt auf der Förderung von Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und einer verbesserten Umweltleistung des Textilsektors.

Wie sehen Sie Ihre Aufgabe als neuer ICAC-Direktor?

Die Aufgabe des ICAC ist es, das Wohlergehen der Baumwollwirtschaft zu fördern. Dazu müssen wir die Baumwollwirtschaft als Teil eines Systems betrachten, das vom Farmer bis zum Endverbraucher reicht. Um Baumwolle besser zu unterstützen, ist das ICAC gerade dabei, seine Arbeit neu zu konzipieren. Wir betrachten Baumwolle jetzt als Teil einer Wertschöpfungskette. Im Rahmen dieses Systemdenkens weiten wir unsere Perspektive aus und befassen uns auch mit der Textilwirtschaft, um diese besser an die Baumwolle anzubinden. Nachhaltigkeit, Rückverfolgbarkeit und auch die Zusammenarbeit mit Marken und Einzelhändlern sind vorrangige Themen auf unserer Agenda. Wir wollen die wichtige Botschaft vermitteln, dass Baumwolle ein globales öffentliches Gut ist, weil sie zur Sicherung des Lebensunterhalts und zum Fortschritt bei Umweltgesichtspunkten beitragen kann.

Da wir eine zwischenstaatliche Organisation für unsere Mitgliedsstaaten und andere Interessengruppen im Baumwollsektor sind, arbeiten wir auch intensiv an Regulierungsfragen. Unser Ziel ist es, unsere Mitgliedsländer dabei zu unterstützen, ihre Ziele in Bezug auf Regulierungen zu erreichen, sei es in der Landwirtschaft, der Umweltpolitik oder in der Entwicklung der Textilindustrie.

Eine zentrale Rolle spielen für uns hochwertige Daten und Berichterstattungspflichten. Wir dienen als Datenlieferant für verschiedene Stellen, unter anderem für die Vereinten Nationen und die WTO. Dass unsere Arbeit seit jeher auf neutralen Daten und Fakten basiert, ist Grundlage für alle unsere Aufgaben. Dies ist einer der wesentlichen Gründe, für das Vertrauen, das uns entgegengebracht wird.

Was sind derzeit die größten Herausforderungen für die Branche? Und wo sehen Sie Chancen?

Herausforderungen und Chancen liegen in der Regel eng beieinander. Die größte Herausforderung ist derzeit, dass wir Marktanteile verlieren und nur noch bei 22 Prozent im Weltfaserverbrauch liegen. Das ist herausfordernd, weil synthetische Fasern billiger sind und der Fasermarkt stark preisgetrieben ist. Dies hängt auch mit der Tatsache zusammen, dass Baumwolle ein landwirtschaftliches Produkt ist: Die Witterungsbedingungen wirken sich auf Qualität und Menge der Produktion aus. Die daraus resultierenden Preisschwankungen können selbst langjährige Geschäftsbeziehungen stören. Jeder Preisanstieg birgt das Risiko Marktanteile zu verlieren.

Chancen ergeben sich meiner Meinung nach, wenn wir die Gründe erforschen, warum wir Marktanteile verlieren – und welche dieser Aspekte wir ändern können. Am Preis können wir nicht viel ändern, aber wir können die öffentliche Wahrnehmung von Baumwolle verbessern, indem wir über Fakten aufklären. Wir können mehr mit Marken und Einzelhändlern zusammenarbeiten. Wir können mit der Wissenschaft zusammenarbeiten, um neue Verwendungsmöglichkeiten für Baumwolle zu finden und ihre Nutzbarkeit und Anwendungsvielfalt zu erhöhen. Unser Engagement bei der Regulierung kann Baumwolle wettbewerbsfähiger in dem umkämpften Fasermarkt machen.

Es besteht auch die Möglichkeit, Bündnisse mit der Zivilgesellschaft und Umweltgruppen aufzubauen, denn wir haben wichtige Thematiken, beispielweise im Hinblick auf Kohlenstoffbindung. Derzeit erwägen wir, ein CO2-neutrales Dorf in Indien zu errichten, um herauszufinden, ob die Sequestrierungseigenschaften von Baumwolle tatsächlich eine ganze Gemeinde kohlenstoffneutral machen können. Das ist eine wichtige Chance mit potenziell großen Auswirkungen sowohl auf die Armutsbekämpfung als auch auf das Klima.

Baumwolle wird in knapp 80 Ländern der Erde angebaut

Wie bewerten Sie als Regierungsorganisation für Baumwolle die aktuellen Nachhaltigkeitsgesetze, die sich auf die Textilindustrie auswirken werden?

Uns geht es auf Basis unserer Orientierung an Daten um die Vermittlung von Fakten. Baumwolle und andere Naturfasern sowie synthetische Fasern sollten auf wissenschaftlicher Grundlage bewertet werden. Was wir an Regulierungen sehen wollen, sind gleiche Wettbewerbsbedingungen, die auf Fakten beruhen und die Voraussetzung sind, um im Wettbewerb zu bestehen. Wir glauben, dass dies der Baumwolle zu Erfolg verhelfen kann.

Als zwischenstaatliche Organisation unterstützen wir unsere Mitgliedsregierungen nachdrücklich bei der Verwirklichung ihrer Ziele. Dabei kann es sich um die wirtschaftliche Entwicklung handeln oder, wie im Falle der EU, die Entwicklung von Gesetzen, die zur Erreichung ihrer global wichtigen Umweltziele beitragen.

Was muss Ihrer Meinung nach von Seiten der Industrie getan werden, um die Nachfrage nach Baumwolle zu unterstützen?

Da gibt es einige Dinge. Zum einen geht es darum, falsche Vorstellung über Baumwolle zu bekämpfen und die Wahrnehmung der Verbraucher zu ändern.

In reicheren Ländern verfügt Baumwolle immer über höhere Marktanteile und deshalb sind Marketing und die Zusammenarbeit mit Marken und Einzelhändlern so wichtig. Letztlich haben sie einen großen Einfluss darauf, was vermarktet wird und was nicht. Es gibt jedoch einen Teil des Marktes, der nicht an der Verbreitung von Mikroplastik, an einer hohen Treibhausgasbelastung oder an der Verursachung von Abfall beteiligt sein möchte. Hier könnte Regulierung unterstützen, aber auch Verbraucher mit einem etwas höheren verfügbaren Einkommen, die bereit sind, höherwertige Produkte zu konsumieren, um die Umwelt zu schützen.

Wird es einen neuen Schwerpunkt in der Arbeit des ICAC geben?

Als internationale Organisation müssen wir für jedes einzelne unserer Mitgliedsländer einen Mehrwert schaffen. Deshalb entwickeln wir in dieser Hinsicht solide Angebote für jedes einzelne unserer Mitglieder. Zu diesem Zweck verstärken wir unsere Schulungsaktivitäten, die länderspezifischen Berichte und planen regionale Treffen – das erste wird am Rande des Internationalen Forums für Baumwolle, Textilien und Accessoires (FICOTA) im Juli in Kamerun stattfinden.

In vielen Ländern werden wir weiterhin mehr für die landwirtschaftliche Entwicklung tun. Baumwolle ist für den Lebensunterhalt von 24 Millionen Landwirten verantwortlich. Wenn diese Landwirte leiden, leiden viele arme Menschen. Das vertieft nicht nur Armut, sondern kann auch Extremismus und unkontrollierte Migration verstärken. Es gibt vielfältige Auswirkungen, aber eine gesunde und starke Baumwollwirtschaft kann hochwertige Arbeitsplätze entlang der Wertschöpfungskette schaffen und einigen der ärmsten Menschen der Welt ein besseres Leben ermöglichen.

Eine der Neuerungen ist, dass wir uns stärker auf die Entwicklung der Textilindustrie konzentrieren, insbesondere für unsere afrikanischen Mitglieder. Da wir baumwollorientiert sind, ist es unser Ziel, einen Textilsektor zu fördern, welcher der Baumwolle hilft. Gleichzeitig werden wir unsere Arbeit in den Bereichen Nachhaltigkeit und Rückverfolgbarkeit vertiefen. Unser Ziel ist es, dass mehr Landwirte und weitere Akteure der Baumwollwertschöpfungskette von der globalen Baumwollwirtschaft profitieren können.

Vielen Dank für das Interview!

Die Interviews in der Rubrik „Nachgefragt“ entsprechen der Meinung des jeweiligen Interviewpartners und geben nicht die Position der Bremer Baumwollbörse als neutrale, unabhängige Institution wieder.

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