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25. August 2020 / BREMER BAUMWOLLBÖRSE: STAFFELSTABÜBERGABE IM PRÄSIDIUM

Mit Stephanie Silber steht seit Juni erstmals eine Frau als Präsidentin an der Spitze der Bremer Baumwollbörse. Sie übernahm das Amt von Jens D. Lukaczik, der die Bremer Baumwollbörse die letzten zwei Jahre führte. Im Gespräch mit der Cotton Report-Redaktion zur Amtsübergabe Anfang Juli verdeutlichen beide die Position der Bremer Baumwollbörse innerhalb der globalen Baumwolllieferkette, gleichzeitig definieren sie neue Aufgabenbereiche. Dies mit dem Ziel, aktuelle und zukünftige Herausforderungen zu meistern. Dabei wird auch an Branchenkritik nicht gespart.

JENS D. LUKACZIK, Vizepräsident Bremer Baumwollbörse und geschäftsführender Gesellschafter Cargo Control Germany GmbH & Co. KG, und STEPHANIE SILBER, Präsidentin Bremer Baumwollbörse und Geschäftsführerin Otto Stadtlander GmbH, beide Bremen,
im Gespräch mit der Cotton Report Redaktion

„Auf eine Zigarette mit …“: die Zeiten des Rauchens sind in der Bremer Baumwollbörse seit langem vorbei. Dennoch hatte die neue Präsidentin für den scheidenden Präsidenten eine Schachtel guter Zigarren mit im Gepäck. Damit erinnerte sie an die Rubrik einer großen deutschen Wochenzeitung und sorgte für aufgelockerte Stimmung während der informativen Gesprächsrunde.

Cotton Report: Herr Lukaczik, was hat im Rückblick Ihre Amtszeit besonders geprägt?

Jens D. Lukaczik: Die zwei Jahre meiner Amtszeit von Juni 2018 bis Juni 2020 sollten sich durch Konsolidierung auszeichnen – dies war auch das Ziel des gesamten Präsidiums. Die Jahre zuvor waren durch viele Veränderungen und Investitionen geprägt. Wir haben das Schiff auf Kurs gehalten, bei gleichbleibender Geschwindigkeit. Trotzdem haben wir einiges erreicht. Zu den größeren Vorhaben gehörte die Vertiefung unserer Beziehung mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Unsere Zusammenarbeit mit der GIZ beruht auf Vertrauen und Verlässlichkeit. Zudem haben wir unser Arbeitsspektrum im Hause heute deutlich auf die gesamte Baumwolllieferkette ausgeweitet. Dies mit dem Ziel, Retailer und auch Endverbraucher direkt anzusprechen. Damit schließen wir eine für die Baumwollwirtschaft und die Baumwollbörse wichtige Kommunikationslücke.

Wie unterscheidet sich die gerade zu Ende gegangene Präsidentschaft von Ihrer ersten Amtszeit 2011/12?

Jens D. Lukaczik: Hier gibt es gravierende Unterschiede. Meine erste Amtszeit von 2010 bis 2012 war für die Baumwollbörse wie ein Aufbruch zu neuen Ufern. Wir haben da eine entscheidende Neuorientierung und Umstrukturierung auf den Weg gebracht. Das Präsidium hat das Drei-Säulen-Modell für die Führung in Anlehnung an die Aufgaben der Baumwollbörse entwickelt ebenso wie eine neue Strategie der internationalen Zusammenarbeit. Die Gründung von ICA Bremen zusammen mit der ICA Liverpool verdeutlicht unseren Anspruch, globales Zentrum für Baumwollqualität und -prüfung hier in Bremen zu sein. Besonders wichtig war es uns in diesem Zusammenhang, „Bremen“ als wichtigen Teil des Markennamens zu etablieren und in der Baumwollwelt zu verankern. Damit sind umfangreiche Investitionen in die Laborausstattung einhergegangen, mit denen die Bremer Baumwollbörse zunächst ins unternehmerische Risiko lief. Alles in allem war dies ein anspruchsvolles Fahrwasser und nicht zu vergleichen mit der relativ seichten Fahrt der letzten beiden Jahre.

Ihr Unternehmen Cargo Control ist ein Dienstleister im Netzwerk des Baumwollhandels. Was sind derzeit Ihre Herausforderungen?

Jens D. Lukaczik: Als Dienstleister im Baumwollhandel ist für uns die wesentliche Frage, ob die Häfen funktionsfähig sind. Die aktuelle Pandemie stellt uns als global operierendes Unternehmen vor einige Herausforderungen. Wir versuchen, uns auf die vielen unterschiedlichen Maßnahmen und ihre Umsetzung in den Ländern einzustellen und unsere Dienstleistungen weiterhin bestmöglich anzubieten. Manchmal führt das zu Konflikten zwischen Kundenwünschen und Regelkonformität. Viele Folgen können wir nicht beeinflussen. Langfristig stellt sich für uns die Aufgabe, mit einem veränderten Nachfrageverhalten umzugehen.

Herr Lukaczik, was geben Sie Frau Silber als Empfehlung für ihre Präsidentschaft mit auf den Weg?

Jens D. Lukaczik: Ich bin weit davon entfernt, einen Tipp zu geben. Frau Silber hat als Freigeist neue Ideen, die soll sie umsetzen, ohne womöglich beeinflussende Ratschläge von mir. Wir können auf eine tolle und verlässliche Zusammenarbeit im Präsidium zurückblicken. Ich bin überzeugt, das wird so bleiben.

Frau Silber, Produktion, Handel und Verarbeitung waren in den letzten zwei Jahren von Unsicherheit geprägt. Jetzt kommt noch eine Pandemie dazu. Was bedeutet das heute und in Zukunft für die Baumwollwirtschaft?

Stephanie Silber: Über die langfristigen Auswirkungen können wir derzeit nur spekulieren, da nicht absehbar ist, wie lange uns das Coronavirus noch beschäftigen wird. Was wir aktuell sehen beziehungsweise gesehen haben, sind viele Länder mit Lockdowns. Wir hatten die Situation, dass Retailer ihre Textilaufträge stor­nierten, die teilweise schon produziert waren. Die allgemein große Verunsicherung führte zu Verschiebungen von Kontrakten. Im Prinzip ist die ganze Nachfrageseite zusammengebrochen. Auf der anderen Seite sehen wir weiterhin große Erntemengen an Baumwolle, zum Beispiel in Brasilien oder Westafrika. Das wird dort ein größeres Problem sein, denn schließlich können die Produzenten schon allein aus Liquiditätsgründen die Ware nicht unbegrenzt vorhalten. Baumwolle gibt es derzeit an jeder Ecke, könnte man sagen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Auswirkungen des Lockdowns und des Nachfrageeinbruchs am Anfang der Lieferkette angekommen sind. Denn zu guter Letzt wird dieser desaströse Dominoeffekt durch die Händler und Farmer aufgefangen.

Gibt es hierbei für die Baumwollbörse eine Aufgabe?

Stephanie Silber: Ich glaube, es ist wichtig, bei Retailern und den Endkonsumenten das Bewusstsein für die Konsequenzen als Folge ihrer Handlungen in der Lieferkette deutlich zu machen. Natürlich können wir den Menschen nicht vorschreiben: ‚Kauft wieder mehr!‘. Da hält der ein oder andere sicherlich aus guten Gründen das Geld derzeit zusammen. Aber es sollte deutlich werden, dass in der Lieferkette Millionen von Arbeitsplätzen und Existenzen am Konsum von Baumwolltextilien hängen. Schlussendlich trifft es dort die Schwächsten in der Kette. Wir können die Baumwolle nicht wieder in die Erde zurück stecken. Es muss etwas getan werden, damit der Umsatz im Textil-und Bekleidungshandel und damit auch der Industrie wieder in Schwung kommt. Mal ehrlich: ‚Abstand halten‘, ‚Maske tragen‘ und ‚Hygiene‘ sind ein Muss. Dies,  obwohl ‚Maske tragen‘ beim Einkauf gewöhnungsbedürftig ist. Der hier und da von Handelsverbänden vorgebrachte Vorschlag, die Regierung solle Einkaufsgutscheine an Konsumenten verteilen, wäre vielleicht ein probates Mittel gewesen. Doch die Entscheidung darüber ist nicht Sache der Baumwollbörse. Das heißt aber für uns, wir müssen mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln Lust auf eine vermehrte Verwendung von Baumwolle und den Kauf von Baumwollprodukten machen.

Frau Silber, wie wird sich die Branche in den nächsten 10 bis 15 Jahren verändern?

Stephanie Silber: Ein Ausblick in die Zukunft, ohne die Corona-Pandemie zu berücksichtigen, ist nicht möglich. Die Auswirkungen werden so massiv sein, dass sie uns noch mindestens zwei bis drei Jahre beschäftigen. Zuversichtlich stimmt mich, dass Baumwolle über sehr positive Merkmale und Eigenschaften verfügt, die uns als Konsumenten immer schon überzeugt haben. Schließlich gehört Baumwolle laut Umfragen zu den präferierten Fasern beim Kauf. In diesem Zusammenhang ist es, wie bereits erwähnt, eine wichtige Aufgabe der Bremer Baumwollbörse, die Vorteile der Baumwolle stärker und vor allem gezielt zu kommunizieren.

Da bietet auch die teilweise Rückbesinnung auf alte Werte während des Lockdowns einen Ansatzpunkt. Das Einkaufsverhalten hat sich verändert, man legt mehr Wert auf ‚Regionalität‘ oder Erzeugung mit Nähe zu den Konsummärkten und Qualität. Wir können mehr Bewusstsein dafür schaffen, dass Baumwolle eine natürliche, nachwachsende, nachhaltige Faser ist, die recyclingfähig und zudem biologisch abbaubar ist. Den Marktanteil der Baumwolle gegenüber anderen Faserarten um ein oder zwei Prozent zu erhöhen, würde schon ein stark positives Signal für die Lieferketten sein.

Wo sehen Sie aktuell noch Verbesserungsmöglichkeiten?

Stephanie Silber: Wir kommen hierbei immer wieder auf die Funktionsfähigkeit der Lieferketten und Vertragstreue zurück. Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Und in der Branche gibt es viele unterschiedlich starke Spieler, manchmal mit Arbeitsweisen, bei denen Partner auf der Strecke liegen bleiben, was moralisch nicht akzeptabel ist. Ob hier die Digitalisierung etwa in Form von Blockchain mehr Transparenz und dadurch Abhilfe schaffen kann, wird die Zukunft zeigen.

Jens D. Lukaczik: Noch immer kommen Fälle vor, in denen zum Beispiel organische Baumwolle, die keine ist, am Markt mit gefälschtem Zertifikat angeboten wird. Damit verwässert man die Seriosität von Zertifikaten zu Lasten aller, die ehrliche Geschäfte betreiben. Gesetzliche Regelungen einzelner Länderregierungen, wie sie etwa Deutschland mit einem Lieferkettengesetz plant, dürften aber in einer globalisierten Weltwirtschaft kaum Wirkung zeigen.

Wo sind Handlungsfelder der Bremer Baumwollbörse in den nächsten zwei Jahren?

Stephanie Silber: Ausgehend von Corona – denn das ist die Situation, die wir gerade haben – wird es um den Zusammenhalt gehen. Im Mittelpunkt stehen die Zusammenarbeit und der Zusammenhalt der einzelnen Segmente vom Produzenten bis zur Spinnerei und der Weiterverarbeitung in der Baumwolllieferkette. Dabei ist wichtig, dass alle Partner im komplexen Netzwerk der Beschaffungskette an einem Strang ziehen. Zudem hat Corona auch deutlich gemacht, dass wir die Arbeitsweisen ändern können, indem wir die Digitalisierung in der Branche vorantreiben. Erzwungen durch die Situation hat sich dies zum Beispiel daran gezeigt, wie viele Meetings und Seminare zeitsparend auch digital erledigt werden konnten. So gewinnen digitale Alternativen durch die Krise an Bedeutung. Klar muss aber sein, dass diese einen persönlichen Kontakt nie vollständig ersetzen können und ein ‚sowohl als auch‘ die Regel werden dürfte.

Jens D. Lukaczik: Im März 2021 findet die Internationale Baumwollkonferenz Bremen als eines der großen Branchentreffen statt. Im Zusammenhang gilt für uns, dass wir verantwortlich vorgehen müssen und die Konferenz nur unter absolut sicheren Bedingungen stattfinden lassen. Das heißt, ohne einen wirksamen Impfstoff zur Verringerung der Infektionsgefahr bei Großveranstaltungen sehe ich das Risiko einer Präsenzveranstaltung als zu hoch an. Wir als Bremer Baumwollbörse dürfen unsere Interessen als Dienstleister der Branche nicht vor die Gesundheit anderer stellen.

Stephanie Silber: Da möchte ich ergänzen, bereits in diesem Jahr haben wir als eine der ersten Organisationen der Baumwollbranche das Risiko gesundheitlicher Gefahren erkannt. Ohne dass es schon staatliche Vorgaben gab, haben wir durch eine frühzeitige Verschiebung der für 2020 bereits vollständig durchgeplanten Tagung Planungssicherheit geschaffen. Wir haben damit Verantwortung für Besucher, Referenten und unsere Mitarbeiter übernommen. Auch für 2021 muss dieses Prinzip Anwendung finden. Im Vorstand haben wir bereits frühzeitig über alternative Veranstaltungsformate diskutiert, um sie anzuwenden, falls es die Situation erforderlich macht.

Wie geht das von Ihnen geleitete Baumwollhandelsunternehmen Otto Stadtlander GmbH mit der schwierigen Marktlage um?

Stephanie Silber: Der Umgang mit Veränderung gehört zu unserem täglichen Geschäft im internationalen Baumwollhandel. Ob es nun um Veränderungen bei den Preisen oder Bezugsländern geht oder den seit Jahren schwelenden Handelskonflikt zwischen China und den USA. Es ist für uns essentiell, aufmerksam zu sein und schnell zu reagieren. So beobachten wir sehr genau, wie sich aktuell die Lage in den verschieden Ländern entwickelt. Lieferketten sind ja nie feststehend, sondern folgen den günstigsten Bedingungen. Neu an der Corona-Pandemie ist, dass es sich um ein weltweites Ereignis handelt und zu Anfang viele Akteure in einer Art Schockstarre verharrten.

Zum Ende Ihrer Amtszeit feiert die Baumwollbörse ihr 150. Jubiläum. Ein Grund, nostalgisch in die Vergangenheit zu schauen?

Stephanie Silber: Kein Grund, nostalgisch zu sein, aber definitiv einer zu feiern. Unsere Branche hat in den letzten fast 150 Jahren drastische Veränderungen erlebt. Die Bremer Baumwollbörse hat es durch ihr Knowhow in Qualitätsfragen, ihre Autorität als Schiedsgericht der Branche und ihr internationales Handeln und ihre Neutralität geschafft, sich immer wieder neu zu positionieren. Dies trotz eines permanenten Wandels der globalen Handels- und Beschaffungsstrukturen. Wir sind stolz auf diese Leistungen und blicken deshalb mit Zuversicht nach vorne.

Persönlich gefragt: Was mögen Sie beide an Baumwolle?

Jens D. Lukaczik: So ziemlich alles, aber beim heutigen Sommerwetter ganz speziell meine Jeans und das luftige Baumwollhemd [Anm. der Redaktion: es sind ca. 30° C Außentemperatur zum Zeitpunkt des Interviews]. Faszinierend ist für mich die globale Vernetzung der Lieferkette vom Bauern im Entwicklungsland bis zum Textilproduzenten im Hochindustrieland.

Stephanie Silber: Kurz und knapp: Weil Baumwolle wahnsinnig vielfältig ist und sowohl das Produkt als auch der Markt unheimlich spannend sind. Ich schätze vor allem auch die Menschen, die in unterschiedlichen Segmenten der Beschaffungskette mit und für Baumwolle arbeiten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Alle Fotos: © Bremer Baumwollbörse, Fotograf Carsten Heidmann

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