In unserer traditionellen Jahresendausgabe des Bremen Cotton Report kommen Experten aus verschiedenen Bereichen der Baumwollbranche sowie der textilen Wertschöpfungskette zu Wort. In kurzen Statements analysieren sie aktuelle Herausforderungen der Branche und werfen einen Blick ins neue Jahr.
Jean-Paul Haessig,Präsident Bremer Baumwollbörse und Direktor Asian Cotton Traders, Ho-Chi-Minh-Stadt, Vietnam
Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen in der Baumwollbranche?
Für die Player der Baumwolllieferkette ist die aktuelle Markt- und Preisentwicklung absolut vorrangig. Da gibt es derzeit einige Herausforderungen durch die gedämpfte Nachfrage. Langfristig sehen wir aber gerade massive Regulierungsbestrebungen insbesondere auf europäischer Ebene, die für die gesamte Textilindustrie Folgen haben werden. Lieferkettengesetzgebung, Umwelt-Fußabdruck, Kreislaufwirtschaft, Abfallrichtlinie, Öko-Design – eine Vielzahl der aktuellen Gesetzesvorhaben auf europäischer Ebene wirkt sich direkt oder indirekt auf die Textilherstellung und damit auf die Baumwolllieferkette aus.
Eine weiter bestehende Herausforderung bleibt die Positionierung der Baumwolle im Fasermarkt. Uns als Bremer Baumwollbörse ist es wichtig, dass Marken und Einzelhändler wissen, wie nachhaltig die Faser Baumwolle ist – und zwar faktenbasiert. Dazu benötigt es Aufklärung, basierend auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den entscheidenden Eigenschaften der Naturfaser Baumwolle: Sie ist biologisch abbaubar, erneuerbar und klimaneutral im Anbau. All diese Eigenschaften sollten Baumwolle zur bevorzugten Faser in vielen textilen Produkten machen.
Anna Rüchardt, Leiterin Nachhaltigkeit und Verantwortung, HAKRO, Schrozberg
Als neues Mitglied im Steuerungskreis – was sind Ihrer Meinung nach die zentralen Aufgaben des Textilbündnis für die kommenden zwei Jahre?
Das Textilbündnis ist in der einzigartigen Position, die verschiedenen Anspruchsgruppen im Sektor in ihrem Bemühen, um wirksame Veränderungen in den Lieferketten zu vereinen. In so vielen Bereichen arbeiten wir aus unterschiedlichen Perspektiven für die gleichen Verbesserungen. Dieses Engagement gemeinsam aufzugleisen soll auch in Zukunft ein Kernfokus des Bündnisses sein.
Ein offener und konstruktiver Stakeholderdialog, der allen Stimmen der Lieferkette Gehör verschafft, kann es uns ermöglichen, bedarfsgerechte Maßnahmen zur Risikominimierung zu treffen und dabei weit mehr in den Lieferketten und im Sektor zu bewirken, als „nur“ den wachsenden gesetzlichen Anforderungen zu begegnen.
Als Sprachrohr im Sektor fördert das Bündnis den Wissensaustausch, erleichtert Mitgliedern den Zugang zum Handwerkszeug für ein effektives HREDD Management (Human Rights and Environmental Due Diligence) und unterstützt sie dabei, ihre eigenen Strukturen, Prozesse, und (Einkaufs-)Praktiken zu hinterfragen. Das ist wiederum ein guter Spiegel für den Gesetzgeber, wie Regulatorik in der Praxis wirkt.
Alexandre Schenkel, Präsident, Abrapa, Brasilia, Brasilien
Was sind die Erfolgsfaktoren der brasilianischen Baumwollproduktion, planen Sie größere Veränderungen in den nächsten Saisons?
Der Erfolg des brasilianischen Baumwollanbaus hat sich seit der Jahrtausendwende mit der Verlagerung der Baumwollproduktion in den mittleren Westen Brasiliens stetig entwickelt. Viele Faktoren führten dazu, das Land vom zweitgrößten Baumwollimporteur in den späten 1990er Jahren zum zweitgrößten Exporteur im letzten Jahrzehnt zu machen: Klima- und Bodenbedingungen, Technologie, Professionalisierung und nachhaltige Praktiken sowie die strategische Ausrichtung der Institution, die alle Baumwollerzeuger vertritt – Abrapa.
Auch die Zukunft hält viele Chancen bereit. Daher investieren wir weiterhin stark in Nachhaltigkeit und Qualität sowie in die Rückverfolgbarkeit und die Bewerbung unserer Faser. Dabei legen wir viel Wert darauf, mit allen Teilen der Produktionskette in engem Kontakt zu stehen und dem Markt zu versichern, dass wir ein zuverlässiger, verantwortungsvoller Ursprung sind und konstant liefern können – und dass wir eine der besten Baumwollsorten der Welt haben.
Dr. Christian Schindler, Director General, International Textile Manufacturers Federation, Zürich, Schweiz
Was wären aus Ihrer Sicht Maßnahmen, die weltweit schwächelnde Textilherstellung zu unterstützen?
Nachdem die Jahre 2021 und 2022 für die Textilindustrie weltweit sehr gute Jahre waren, wurde das Jahr 2023 ein extrem schwieriges. Es war geprägt von steigenden Kosten auf der Angebotsseite und von zurückhaltendem Konsum auf der Nachfrageseite. Die Textilindustrie sah sich in einem perfekten Sturm gefangen, der länger anhielt als zunächst gedacht.
Da viele Einzelhändler auf hohen Lagern sitzen – diese wurden 2022 aufgebaut in Erwartung weiterhin hoher Nachfrage – müssen diese erst wieder auf ein normales Niveau reduziert werden. Der Abbau erfolgte bisher langsam, doch sollte sich dieser im November (Black Friday) beschleunigt haben und auch im Dezember (Weihnachten) fortgesetzt werden. Mit abnehmenden Lagerbeständen entsteht dann auch die Notwendigkeit, neue Aufträge in der Textilindustrie zu platzieren.
Die stark zurückgehende Inflation, das Ende steigender Zinsen, ein weltweites Wirtschaftswachstum von rund drei Prozent sowie abnehmende Lagerbestände sollten dafür sorgen, dass die Nachfrage nach Textilien 2024 wieder zunehmen sollte.
Anish Koundanya, Direktor Verkaufs- und Marketingstrategie, Beratung, Global Business Solutions, Arani, Indien
Welche Trends werden den indischen Baumwollmarkt im Jahr 2024 prägen?
Die Provinzregierungen in Nordindien gehen davon aus, dass im Jahr 2023 65 Prozent der dortigen Baumwollproduktion durch den Baumwollkapselwurm schwer geschädigt werden. Dies ist die größte Herausforderung für die indische Baumwolle im Jahr 2024.
Die Löhne der Erntehelfer sind an die geerntete Menge gekoppelt und weniger Ertrag bedeutet weniger Lohn. Schon 2023 konnten die Landwirte aufgrund der geringeren Erträge und Löhne keine Arbeitskräfte für die Baumwollernte finden.
Seit 2014 sind die Erträge um 14-15 Prozent gesunken. Seit 2019/20 sind Ertrag und Produktion um sieben bzw. zwölf Prozent zurückgegangen. Trotz eines Einfuhrzolls auf Baumwolle in der Saison 2022/23 stiegen die Baumwollimporte gegenüber 2021/22 um 73 Prozent.
Die neue Qualitätskontrollverordnung für Baumwolle des indischen Amtes für Standards tritt im August 2024 in Kraft. Sie zielt darauf ab, die Qualität entkörnter indischer Baumwolle zu regulieren und zu standardisieren. Die neu geschaffene Marke „Kasturi Cotton“ zielt darauf ab, eine qualitativ hochwertige Faser mit Rückverfolgbarkeit anzubieten.
Kim Hanna, Präsidentin, International Cotton Association, Liverpool, Großbritannien
Als erste Frau an der Spitze der ICA, was werden Sie anders machen?
Es ist wichtig, die Geschichte der ICA und ihre einzigartig sichere Handelsplattform zu würdigen, die das Rückgrat der Branche ist. Auch das erfolgreiche Joint Venture, ICA Bremen, fördert Spitzenleistung bei der Qualitätsprüfung von Baumwolle.
Als ICA-Präsidentin werde ich mich 2024 vor allem für Einbindung und Verbindung einsetzen. Dazu werde ich mich demnächst mit dem Spinnereikomitee zusammensetzen, um ihre Ideen zu hören und ihr Engagement zu unterstützen. Die Gründung eines Einzelhandelsausschusses mit globalen Marken ist in der Planung. Ziel ist hier, die Bedürfnisse klarer zu erkennen und Einzelhändlern dabei zu helfen, die Lieferkette entsprechend der relevanten Vorschriften zu navigieren.
Die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Organisationen kann die ökologischen und sozialen Vorteile aufzeigen, die Baumwolle zu einem Vorreiter in Sachen globaler Nachhaltigkeit machen kann. Natürlich ist es wichtig, das Erbe der ICA zu bewahren. Aber ebenso entscheidend ist es, die Baumwollindustrie in eine nachhaltige Zukunft zu führen. Die Ausweitung unserer Reichweite stellt sicher, dass die ICA in dieser sich entwickelnden Landschaft positive Veränderungen anführt.
Carolin Franitza, Stakeholder Manager, Oeko-Tex, Zürich, Schweiz
Welche Änderungen auf dem Markt für Zertifizierungen erwarten Sie 2024?
Im Fokus für 2024: Datenzugänglichkeit und Rückverfolgbarkeit. Die wachsende Nachfrage nach natürlichen Materialien wie zum Beispiel Baumwolle fördert ein zunehmendes Bewusstsein für Umwelt- und Sozialrisiken in der Rohmaterialgewinnung und betont die Bedeutung regenerativer Anbaumethoden, Biodiversität und existenzsichernder Löhne.
Die Rückverfolgbarkeit von der Faser bis zum Endprodukt ermöglicht es, die Herkunft der Baumwolle zu identifizieren und faire Arbeitsbedingungen und Umweltstandards zu schaffen. Diese Transparenz befähigt Unternehmen, Nachhaltigkeitsanforderungen zu erfüllen und stärkt das Vertrauen der Konsumierenden.
Die Verifizierung durch Zertifizierungen spielt eine entscheidende Rolle, ist jedoch eine komplexe Herausforderung, die derzeit oft manuell bewältigt wird. Die Digitalisierung von Tracking Systemen ist ein wichtiger Schritt. Gemeinsames Engagement zur Datenharmonisierung und zum Datenaustausch zwischen Zertifizierungsorganisationen kann in dieser Entwicklung als Katalysator fungieren.
Eric Trachtenberg, Executive Director, International Cotton Advisory Committee, Washington, D.C., USA
Was sind Ihre Pläne für das ICAC als neuer Executive Director, welche Veränderungen wird es geben?
Die Hauptaufgabe des ICAC besteht darin, die globale Baumwollwirtschaft zu unterstützen und zu stärken, indem es Daten, technische Informationen und Analysen zu Baumwollproduktion, -verbrauch und -handel bereitstellt. Das ICAC überwacht die maschinelle Baumwollprüfung, um den Baumwollhandel effizienter zu gestalten. Es fungiert als Forum zur Diskussion international bedeutender Fragen gemeinsam mit unseren Mitgliedsregierungen, dem Privatsektor, der Zivilgesellschaft und Fachexperten.
Nach umfangreichen Konsultationen mit unseren Stakeholdern überdenkt das ICAC seine Arbeit. Um die globale Baumwollwirtschaft besser zu unterstützen, sollen die Anstrengungen in den Bereichen landwirtschaftliche Entwicklung, Nachhaltigkeit und Rückverfolgbarkeit verstärkt werden. Wir treffen Vorbereitungen, unsere Aktivitäten im Textilsektor auszuweiten. Dabei wollen wir unsere Verbindungen zu Marken und dem Einzelhandel vertiefen und die positiven Eigenschaften von Baumwolle hervorheben, indem wir die Fakten verdeutlichen.
Das ICAC freut sich darauf, mit allen zusammenzuarbeiten, die unser Ziel teilen, eine starke globale Baumwollwirtschaft zur Förderung von wirtschaftlichem Wachstum und Umweltschutz zu unterstützen. Davon profitieren alle Beteiligten in der Wertschöpfungskette vom Landwirt bis zum Verbraucher.
Christian Lanvermann, Senior Marketing Manager, Fruit of the Loom, Kaiserslautern
Baumwollbekleidung war immer ein starker Markenkern von Fruit of the Loom – bleibt das auch in Zukunft so?
Absolut. Baumwolle war, ist und bleibt für uns der wichtigste Rohstoff. Wir produzieren ca. zwei Millionen Teile pro Woche in unserer eigenen Produktionsstätte in Marokko. All unsere T-Shirts bestehen zu 100 Prozent aus Baumwolle. Ab dem nächsten Jahr verarbeiten wir auch Biobaumwolle. Natürliche Fasern, wie Baumwolle und vor allem Biobaumwolle sind weiterhin in unserer Industrie stark gefragt.
Heutzutage geht es aber nicht mehr nur um das Textil an sich. Die Kunden verlangen nicht nur nachhaltige Rohstoffe. Für sie ist auch von Bedeutung unter welchen Umständen Kleidungsstücke hergestellt werden und dass der Preis bezahlbar ist und bleibt. Wir können mit Stolz sagen, dass wir dahingehend sehr gut aufgestellt sind. Wir verfügen über eine moderne und nachhaltige Produktion mit großartigen Mitarbeitern. Durch die Nähe unseres Produktionsstandortes zu Europa können wir unsere Produkte schnell liefern und hinterlassen einen niedrigeren CO2-Fußabdruck.
Graham Soley, Landwirtschaftsökonom, US-Landwirtschaftsministerium, Foreign Agricultural Service, Washington, D.C., USA
Wie wird sich der Weltbaumwollmarkt in den nächsten drei Jahren entwickeln?
Die Baumwollnachfrage zu prognostizieren ist seit dem Beginn der COVID-19 besonders herausfordernd. Obwohl die Spinnereikapazitäten in Märkten wie China, der Türkei und Südasien zuletzt ausgeweitet wurden, sind die Auslastungsraten global seit dem letzten Jahr zurückgegangen. Um die Baumwollnachfrage in Zukunft zu stützen, müssen die Käufe von Bekleidung und Heimtextilien in den wichtigsten Verbrauchermärkten, darunter die Europäische Union und China, zu einem trendmäßigen Wachstum zurückkehren.
Zudem bleiben auch die Baumwollpreise im Vergleich zu synthetischen Fasern hoch. In den letzten zehn Jahren hat Chinas beträchtliche Zunahme der Kunstfaserproduktion und -kapazität einen wesentlichen Anstieg der Kunstfaserpreise verhindert. Wenn der relative Baumwollpreis weiter steigt, wird dies die künftige Baumwollnachfrage weiter unter ihre Trendwachstumslinie drücken.
Antonios Siarkos, Präsident, European Cotton Alliance, Larissa, Griechenland
Was sind die nächsten Schritte für die EUCOTTON-Initiative?
Die EUCOTTON-Initiative gewinnt an Bedeutung. Die Verbraucher wollen zunehmend wissen, woher die Materialien für die von ihnen gekauften Kleidungsstücke stammen und wie nachhaltig ihre Lieferkette ist. Zu Beginn des neuen Jahres führt die European Cotton Alliance das EUCOTTON-Managementsystem und eine Plattform zur Umsetzung von Rückverfolgbarkeit ein, um die Verwendung des EUCOTTON-Siegels in der Lieferkette zu steuern. Diese Methode wird eine vollständige Rückverfolgbarkeit des Produktflusses durch die gesamte Lieferkette ermöglichen und vollständige Transparenz und detaillierte Informationen für die Kennzeichnung und den digitalen Pass von Textilprodukten gewährleisten.
Derzeit führt die European Cotton Alliance eine ehrgeizige und innovative Werbekampagne durch, die darauf abzielt, den Bekanntheitsgrad und die Anerkennung der europäischen Baumwolle zu erhöhen, indem sie ihre Qualitäts- und Nachhaltigkeitseigenschaften besonders hervorhebt. „Europa gestaltet eine nachhaltige Zukunft mit Baumwolle aus Europa“ ist der Hauptslogan der Kampagne.